Mrs Murphy 04: Virus im Netz
bemühte sie sich, ihre Meinung für sich zu behalten.
Miranda Hogendobber dagegen erinnerte sich noch lebhaft an Franklin Delano Roosevelt, weshalb sie eine viel positivere Einstellung zur Regierung hatte als Harry. Dass Miranda sich an FDR erinnerte, bedeutete aber noch lange nicht, dass sie ihr Alter preisgab.
An diesem Julitag waren die Mimosen von den rosagoldenen Heiligenscheinen ihrer zarten Blüten umkränzt. Myrten und Hortensien übersäten die Stadt, hier mit purpur- und magentaroten, dort mit weißen Sprenkeln. Weil sonst nicht viel blühte in diesen schwülen Hundstagen, die am dritten Juli begannen und am fünfzehnten August endeten, war man dankbar für diese Farben.
Bislang waren in diesem Monat keine fünf Zentimeter Regen gefallen. Die Schneeballsträucher ließen die Köpfe hängen. Selbst der widerstandsfähige Hartriegel fing an, sich einzurollen, und Mrs Hogendobber sprengte ihre Pflanzen frühmorgens und spätabends, damit nicht zu viel Feuchtigkeit durch Verdunstung verloren ging. Ihr Garten, um den sie die ganze Stadt beneidete, zeugte von ihrer wachsamen Fürsorge.
Als die Post sortiert war, gönnten sich die beiden Frauen ihre morgendliche Teepause. Genauer gesagt, Tee für Harry, Kaffee für Miranda. Mrs Murphy saß auf der Zeitung. Tucker schlief im hinteren Bereich des Postamts unter dem Tisch.
»Ist heute Honigtag oder Zuckertag, Mrs H.?«, fragte Harry, als das Wasser kochte.
»Honigtag.« Miranda lächelte. »Mir ist nach Natursüße.« Harry verdrehte die Augen und ließ einen dicken Klacks Honig von dem Spiralstab tropfen, der in dem Honigtopf aus brauner Keramik steckte. Dann nahm sie den Teebeutel aus ihrem Becher, wickelte den Faden um den Löffel, um die letzten Tropfen starken Tees auszudrücken. Der Henkel ihres Bechers hatte die Form eines Pferdeschweifs, das Übrige stellte Leib und Kopf des Pferdes dar. Mirandas Becher war weiß und trug in Blockbuchstaben die Aufschrift sag JA zu NEIN.
»Mrs Murphy, ich würde gerne die Zeitung lesen.« Miranda hob sacht das Hinterteil der Tigerkatze an und zog die Zeitung unter ihr weg.
Mrs Murphy legte die Ohren an und quittierte das Ansinnen mit einem empörten Murren. »Ich steck meine Pfoten auch nicht an deinen Hintern, Miranda, und außerdem steht nie was Lesenswertes in der Zeitung.« Sie stapfte zu der kleinen Hintertür und marschierte hinaus.
»Hat die aber schlechte Laune.« Miranda setzte sich und überflog die Titelseite.
»Was sagt die Schlagzeile?«, fragte Harry.
»Zwei Verletzte auf der I-64. Was noch? Oh, dieser Threadneedle-Virus droht am ersten August unsere Computer zu infizieren. Es wäre mir sehr recht, wenn unser neuer Computer todkrank wäre.«
»Ach was, der ist doch gar nicht so schlimm.« Harry griff nach dem Sportteil.
»Schlimm?« Mrs Hogendobber schob ihre Brille hoch. »Wenn ich auch nur eine Kleinigkeit in der falschen Reihenfolge mache, erscheint ein barsches Kommando auf diesem widerwärtigen grünen Bildschirm, und ich muss wieder ganz von vorne anfangen. Es gibt da viel zu viele Tasten. Moderne Errungenschaften! Zeitverschwender, das sind sie, Zeitverschwender, die sich als Zeitsparer verkleiden. Ich kann mir in meinem Oberstübchen mehr merken als so ein Computerchip. Und können Sie mir sagen, wozu wir im Postamt einen Computer brauchen? Wir brauchen eine gute Waage und einen guten Freistempler. Die Briefe kann ich selber stempeln!«
Als Harry sah, dass Miranda mal wieder in Maschinenstürmerlaune war, hielt sie es für das Klügste, ihr nicht zu widersprechen.
»Nicht alle, die im Postdienst arbeiten, sind so schlau wie Sie. Die können sich nicht so viel merken. Für sie ist der Computer ein Geschenk des Himmels.« Harry reckte den Hals, um das Foto von dem Autounfall zu sehen.
»Das haben Sie hübsch gesagt.« Mrs Hogendobber trank ihren Kaffee. »Wo Reverend Jones nur bleibt? Gewöhnlich ist er um diese Zeit hier. Alle anderen waren pünktlich.«
»Tausend Jahre sind vor dem Herrn wie ein Tag. Eine Stunde ist für den Reverend wie eine Minute.«
»Hüten Sie Ihre Zunge.« Miranda, tiefgläubig, auch wenn sie ihren Glauben gelegentlich den Umständen anzupassen pflegte, drohte mit dem Finger. »Wie Sie wissen, machen wir uns in der Kirche Zum Heiligen Licht nicht über die Heilige Schrift lustig.« Miranda gehörte einer kleinen Kirchengemeinde an. Tatsächlich waren es Abtrünnige der Baptistenkirche. Vor zwanzig Jahren war ein neuer Pfarrer gekommen, der viele
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