Mrs Murphy 04: Virus im Netz
hübschen Frau herangereift, die vor Ideen übersprudelte.
Little Marilyn, die sich gerade von ihrer Scheidung erholte, war noch deprimiert. Sie brauchte ihre Freundinnen.
Kerry, damals noch mit Norman Cramer verlobt, hatte Aysha und Little Marilyn oft eingeladen, abends mit ihnen essen, ins Kino oder zu einer nächtlichen Veranstaltung in die Blue-Ridge-Brauerei zu gehen.
Norman, schmächtig und schüchtern, hatte ein hübsches Gesicht, das große blaue Augen umrahmte. Er arbeitete ebenfalls in der Crozet National Bank, als Chefbuchhalter. Als aufregend hätte ihn wohl niemand spontan bezeichnet, daher kippten alle aus den Latschen, als Aysha ihn Kerry ausspannte. Keiner konnte begreifen, weshalb sie ihn wollte, außer dass sie die dreißig überschritten hatte, ungern arbeitete und die Ehe als bequemen Ausweg sah.
Ihre Mutter, Ottoline Gill, die sich viel zu sehr in das Leben ihrer Tochter einmischte, schien von ihrem frischgebackenen Schwiegersohn begeistert. Das mag teils an dem freudigen Schreck gelegen haben, dass sie überhaupt einen Schwiegersohn bekam. Sie hatte Ayshas Zukunft schon verloren gegeben und immer wieder erklärt, ein Mädchen, das so schön und klug sei wie ihr Liebling, würde nie einen Mann finden. »Männer mögen dumme Frauen«, pflegte sie zu sagen, »und meine Aysha wird nicht das Dummchen spielen.«
Was immer sie spielte oder nicht spielte, sie hatte Norman betört, mit dem Ergebnis, dass Aysha und Kerry jetzt erbitterte Feindinnen waren, die kaum in zivilisiertem Ton miteinander reden konnten. Fern von Ayshas forschenden Blicken war Norman liebenswürdig zu Kerry, aber seine Liebenswürdigkeit wurde nicht immer erwidert.
Marilyn schickte Aysha zum Arbeiten nach unten und Kerry nach draußen zu den Sklavenquartieren. Das milderte die Spannung ein wenig. Sie wusste, dass beide am nächsten Tag zu ihr kommen und sich über das Durcheinander beschweren würden. Kerry würde leichter zu beschwichtigen sein als Aysha, die nichts lieber sah, als wenn jemand emotional im Unrecht war. Aber weil Aysha gerne Fremdenführerin in Ash Lawn war, wollte Marilyn sie besänftigen, um ihrer selbst willen wie zum Wohl der Stätte. Es war schlimm genug, dass Aysha ihr Ärger machte, aber sich mit dieser Zicke von einer Mutter herumzuschlagen, das war die Hölle. Und wenn Ottoline auf die Barrikaden ging, dann würde Mim, Marilyns Mutter, sich ebenfalls einmischen, und sei es nur, um die überhebliche Ottoline in die Schranken zu weisen.
Mrs Murphy, den Schwanz senkrecht aufgerichtet, fühlte das kühle Gras unter ihren Pfoten. Grashüpfer schossen vor ihr davon wie grüne Insektenraketen. Sie hüpften, ließen sich nieder, hüpften weiter. Gewöhnlich jagte sie ihnen nach, aber heute wollte sie in das historische Wohnhaus, nur um zu beweisen, dass sie nicht die Absicht hatte, etwas kaputt zu machen.
Als der Tag sich neigte, waren die meisten Touristen gegangen. Einige hielten sich noch im Andenkenladen auf. Das Personal von Ash Lawn begann mit dem Abschließen. Harry und Blair waren ins Haus gegangen, um zu sehen, ob Marilyn Hilfe brauchte.
Ein entferntes Dröhnen kam näher. Dann verkündeten ein Quietschen, ein Spotzen und ein Stottern, dass ein Motorrad auf dem Parkplatz zum Stehen gekommen war, nicht irgendein Motorrad, sondern eine schimmernde, vollkommen schwarze Harley-Davidson. Der Motorradfahrer war so abgerissen, wie seine Maschine glänzte. Er trug einen schwarzen deutschen Helm aus dem Zweiten Weltkrieg, eine schwarze, mit Chromsternen besetzte Lederweste, zerrissene Jeans, schwere schwarze Motorradstiefel, und um die Brust hatte er eine imposante Kette baumeln, die an einen altertümlichen Patronengürtel erinnerte. Eine Motorradbrille mit dunklen Gläsern vervollständigte die Montur. Er war unrasiert, sah aber auf seine schmuddelige Art nicht übel aus.
Er schlenderte den gepflasterten Weg entlang, der zum Vordereingang führte. Tucker, die sich jetzt seitlich vom Haus bei den Sklavenquartieren befand, blieb stehen und bellte ihn an. Beide Tiere hatten sich vom Nebeneingang entfernt, um zu sehen, was vorging.
»Halt’s Maul, Tucker, du verdirbst mir sonst meine Strategie«, warnte die Katze. Sie lag flach vor dem Besuchereingang und wartete nur darauf, dass mit dem Eintritt des Motorradfahrers die Tür aufschwang, sodass sie hineinflitzen konnte. Wer immer die Tür öffnete, würde einen Schrei ausstoßen, wenn sie zwischen seinen Beinen durchsauste. Dann würde man ihr nachjagen
Weitere Kostenlose Bücher