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Muckefuck

Muckefuck

Titel: Muckefuck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
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Namen Agathe!« Ingrid tippte mit der Fingerspitze auf Agathes mechanische Augenlider. Gurgelnd schoss das Wasser in die Kopfhöhle, etwa eine halbe Tasse.
    Dann, während alle Sandkuchen buken zum Festmahl und Häschen die Puppe, in deren Kopf das Wasser laut schülperte, zwischen duftigen Paradekissen in einem hochbeinigen Puppenwagen versorgte, meinte Ingrid, Taufe ist ein blödes Spiel. Sie meinte damit nicht etwa, dass man zeitnah nun auch im Spiel die Taufe durch Deutsche Weihe ersetzen müsse. Nein. So weit ging nicht einmal Ingrid.Hier im Vorort, links und rechts der schnurgeraden Lehrter Bahn, entlang am preußischen Königsweg, wurde weitergetauft.
    Aber Ingrid fand es blöd. Mindestens diesen Teil jetzt mit gemütlichem Familienbeisammensein und Sandkuchenbacken. Das Luder, voll schlüpfriger Gedanken, fiel kichernd mit neuem Vorschlag mitten in die aufgereihten Sandkuchen, hintenüber, die Beine hoch, und enthüllte wieder ihr Höschen. »Wir spielen«, befahl sie, »Anatomie«. Dann stand sie auf. Ihr kleiner Hintern hatte die Sandkuchen zertrümmert und zwei halbkugelige Abdrücke hinterlassen, auf die ich starrte.
    Anatomie? Auch wieder ein Wort, das ich nicht verstand. Wie poussieren. Heute würde ich in meinem Lexikon nachschlagen, würde lesen, dass Anatomie aus dem Griechischen kommt und Aufschneidung bedeutet oder Zergliederung. Würde mit Erstaunen feststellen, dass Anatomie in sechs Teile zerfällt, nämlich in… aber ich gehe zu weit, viel weiter als Ingrid, die nicht an Aufschneiden dachte und nicht an Zergliederung, und die keine Ahnung davon hatte (und, wenn sie noch lebt, auch heute noch nicht hat), dass Wissenschaften existieren, die in sechs Teile zerfallen. Ich werde demnächst das Lexikon daraufhin prüfen, ob nicht andere Wissenschaften in noch mehr Teile zerfallen. Ich bin überzeugt, man findet eine Menge.
    Woher nahm Ingrid diese Bezeichnungen, die fremd und geheimnisvoll klingenden Wörter? Was wusste sie? Ich, den Blick noch immer auf die beiden halbrunden Vertiefungen im Sand gerichtet, ich wusste, dass ich nichts wusste.
    »Anatomie«, riefen alle, riefen Gigi und Häschen, riefen Anneliese und Marie, die hinzugekommen waren. Hinter Ingrid stürzten alle in den unteren Schuppenraum, der scharf riechende Stallhasen beherbergte. Auf und zuklappte die mit Teerpappe benagelte Tür. Verschwunden waren sie. Nur Häschen blieb mit mir draußen, zurückgewiesen wie ich, aber pummelig zufrieden.
    Bis dreiundvierzig sollten wir zählen: Wer mag das? So lange dauerte es. Dann riefen sie Häschen hinein, und ich stand allein vorm Karnickelstall, langsam ahnend, was Anatomie da drin bedeutete. Aber es war noch nicht so weit. Kein Laut drang aus dem Hasenverlies, auch keiner vom Anatomieopfer Häschen, dem dicklichen Nichtlangohr, das nur zufällig auf ihre Namensgeber stieß, dort drin. Im Halbdunkel. Ich dachte an kleine Finger, die Bohnen klaubten, Erbsen aus saftigen grünen Hülsen streiften. Kribbelige kleine Hände mit kurzen Fingern, benagten Nägeln. Wächserne Hülsen und weiße trockene Hülsen, die knallten, wenn der Finger sie drückte.
    Wumm! Das war die Tür. Eine Hand winkte. Ich betrat den Karnickelstall. Einen Augenblick stand ich, bis meine Augen sich an die Dämmerung gewöhnten. Kein Laut. Nur das Rammeln der Karnickel in ihren Drahtkäfigen. Dann sah ich, unbeweglich in einer Reihe, die Mädchen. Links stand Häschen, und besonders deutlich sah ich Häschens untere Hälfte, denn Rock und Schürze hatte sie hochgeklappt bis übers Kinn. Beide Hände hielten mit gespreizten Fingern die leichten Kleidungsstücke. Das Untere verhüllte nichts, und ich sah, was ich an Zelluloidpuppen vermisste, und mitten drin ein Böhnchen oder eine kleine Erbse, zum Puhlen. Es ist ja zum Puhlen, zum Puhlen, dachte ich, sonst nichts. Nicht einmal ungebührliche Neugier.
    Starr standen alle. Der Vorhang blieb geöffnet. Wachsbleich leuchtete Häschens Haut im Halbdunkel. Ingrid flüsterte: »Sie zeigt uns alles.« Und dann ihr Befehl: »Zeig’ uns auch was!« Ich reagierte nicht. Denn es kam mir nicht in den Sinn, dass sie meinten, was Ingrid schnauzig mit »Banane, Banane« anzusingen beliebte. Doch dann traten Ingrid und Gigi auf mich zu. Auf einmal roch es nach Haar und Haut, nicht mehr nach Kaninchen. Krabbelhände suchten nach Knöpfen, öffneten sie, und dann spürte ich, was puhlen hieß, Wohltat fremder Hände am anatomisch aus Schwellkörpern Bestehenden. Sie zerrten zart und

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