Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Muckefuck

Muckefuck

Titel: Muckefuck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Lentz
Vom Netzwerk:
Gallert hielt Wache in bedenklicher Umgebung, am Rand der soziverseuchten Kolonie Tausendschön. Sturmriemen unterm Kinn, achtete er darauf, dass Passanten dem Flaggentuch durch Armvorstreckengebührend Ehre erwiesen, gleich, ob es sich im Wind entfaltete, in einer frischen Brise knatterte, oder nur lasch an der weißen Stange klebte.
    Diesmal versäumte ich es beinahe, die Flagge zu grüßen. Erstaunlich. Denn sonst an Feiertagen mit Beflaggung bereitete es mir Vergnügen, sogar Umwege zu machen, um an Gallerts Gartenzaun vorbeizumarschieren und den Gruß anzubringen. Zu Gallerts Befriedigung. Zackig erwiderte er meine Ehrenbezeigung. Aber heute, an dem so hohen Tag, der auch Gallerts Erwartungen, Grußausübung der Passanten betreffend, ins Unermessliche steigerte, versäumte ich fast das Anheben des rechten Armes. Mäßig grüßend im letzten Augenblick in miserabler Haltung, stolperte ich an Gallert und Fahne vorbei. Den braununiformierten Symbolwächter ließ ich mit erstaunten Augen zurück.
    Ich dachte nach. Weibliches? Gestern im Karnickelstall hatte ich es neu erfahren. Flinkgliederige Ingrid, knöpfende Gigi, auch Stacks genannt. Schwerer aber wog das andere Symbol für Weiblichkeit in meinem Leben, schwerer körperlich und schwerer seelisch:
    Minnamartha, Menschleins Mutter. Meine Mutter.
    Mutter. Oder Mami, letzteres verschämt, meist in Frageform benutzt: Mahmieee? Oder, fordernd, Mami! Vierjährig, stand ich heulend, brüllend am Gartentor, fragte Passanten: Haben Sie nicht meine Mutter gesehen? Versuchte, Minnamartha zu beschreiben, wenn Hilfreiche fragten: Wie sieht sie denn aus, deine Mutter? Aber ich konnte es nicht. Noch nicht. Doch wenig später erwachte das Bild in mir. Die Riesin Mutter wuchs vor meinen Augen.
    Das erste Bild: Minnamartha im linken der auseinandergerückten Ehebetten aus braunfurniertem Holz. Die Maserung, auf vier quadratischen Feldern diagonal undregelmäßig zu einem mathematisch genau platzierten Mittelpunkt hinstrebend, wirkte perspektivisch, wie ein um 45 Grad gekanteter Bergwerksstollen, der vom Beschauer aus, scheinbar enger werdend, in einen imaginären Flöz hineinlief. Mutter lag unterm dicken Plümo mit Rosenmuster, schon morgens die Brille wieder auf der Nase, Buchstaben fressend aus raschelnden Zeitungen oder Modeheften der Berliner Hausfrau , denen während der Lektüre Schnittmusterbeilagen entglitten, über die schneeig rosane Schräge des Plümohanges hinabrutschten, um sich auf dem Fußboden neben dem Bett anderen gestürzten oder weggeworfenen Druckerzeugnissen beizugesellen.
    Sogar das Nachtgeschirr war zugedeckt mit mehreren gefalzten Lagen der Berliner Morgenpost, allgemein Mottenpost genannt.
    Hatte Minnamartha genug Buchstaben gefressen, so legte sie mit wiederholtem Seufzen die letzten Blätter fast kraftlos aus der Hand. Vorsichtig hob sie die Brille von der Nase, die einen Platz auf dem überfüllten Nachttisch fand. Neue Seufzer sodann, und jetzt wurde das schwere Plümo gelüftet, zurückgestoßen zum Fußende, wo es mit einem Zipfel in den perspektivischen Bergwerkstunnel ragte. Da schwang sie die Beine über den Bettrand, stieß blasse Füße in die umherliegenden Druckschriften, und saß nun vorgebeugt, als ob sie sich zu viel zugemutet hatte. Doch dann lüftete sie, mit einer fast leichten Bewegung, das Gesäß. Sie zerrte, krempelte das Nachthemd am Körper nach oben und enthüllte rosig-gelbe Massen, von untadeliger, weicher Haut überzogen. Der Kopf verschwand im zarten Gefältel, tauchte, mit wirren Locken, die brennscherenscharfe Kanten hatten, wieder auf: Es war vollbracht! Das Hemd fiel neben Minnamartha zusammen. Und ihre Hände mit harten Fingernägeln hoben schwere Brüste in den Morgen.
    In der Nähe auf dem Stuhl, leicht zu ergreifen, lag ein Stoffstück, das ich lange für eine doppelte Einkaufstasche hielt, bis ich mich überzeugte, dass es dazu diente, Minnamarthas Brüste zu verstauen und mittels breiter Schulterträger in eine Lage zu bringen, die modischen Vorschriften oder einfach Minnamarthas Wünschen entsprach. Das Kleidungsstück war vorn zu schließen, was viel bequemer sein muss als es die Machart mit hinterem Verschluss zulässt.
    Die Brüste wurden also verstaut, zwei rosige Kleckse schimmerten vorn durch den prall gefüllten Stoff. Danach folgte die Anlegung eines damastenen, in sich gemusterten Hüftpanzers, Strümpfe wurden ächzend über die merkwürdig schönen, von keiner Krampfader verunstalteten Beine gerollt

Weitere Kostenlose Bücher