Mueller und die Schweinerei
Kopf.
Sie lehnen sich auf den stilschönen Allwetterstühlen zurück und atmen aus und ein.
Siebenundzwanzig Schweine sind tot, vergiftet, und zwölf waren schwer innerlich verletzt, dass sie sich krümmten und über die Wiese quiekten wie Lindwürmer in der Fritteuse und daher BLAMM BLAMM BLAMM! Und obwohl zum Glück den Bohneneintopf niemand bestellte, weil Millionen von potenziellen Gästen in den Ferien und die anwesenden nur leicht oder kalt essen jetzt, weil Sommerzeit und heiss und grenzwertig erträglich und Magen mit Hitzeabwehr beschäftigt und deshalb »Glück im Unglück«, sagt Joachim Scharpf. Und Müller pflichtet bei, wie man sagt.
»Sie bleiben doch zum Mittagessen?«, bietet Scharpf an, worauf der Müller die Falten auf der Stirn runzelt und tief eingräbt. Ein Bestechungsversuch? Vorsatz? Ein naiver Geschäftsmann?
Der Müller also sofort Blick wie eine Rasierklinge. Temperatur fällt um drei bis vier Grad.
Ist offensichtlich nicht up to date, Joachim Scharpf, sonst wüsste er: guter Ruf von Müller, lässt sich nicht herumkriegen, weder durch Geld- noch durch Auto- noch damals durch Sex-Angebot von Restaurant, wo gewisse Dinge gelaufen waren, die ungünstiges Licht auf Gaststätten der schönen Stadt werfen würden, wenn wir sie erwähnen würden, aber wir wollen dem Aufschwung im Gastrogewerbe nicht schaden. Aufschwung dauert seit bald einem Jahrzehnt, weil die Vierundzwanzig-Stunden-Gesellschaft pausenlos ausgeht, Bedürfnisse anmeldet, Angebote wahrnimmt und Umsatz bringt. Vorher von Montag bis Sonntag um dreiundzwanzig Uhr dreissig Uhr das Schwierigste in der schönen Stadt Zürich: etwas Warmes zu essen zu bekommen oder auch nur ein Bier. Alle Stühle ab dreiundzwanzig Uhr fünfzehn hochgestellt, der Wischmopp im Einsatz. Jetzt aber alles ständig Rambazamba und Hochbetrieb. Rund-um-die-Uhr-Arbeitsplätze, überall Restaurants und Kneipen und Imbisse und Bars und Take-aways und Coffee-to-go und Pizza-to-go und Nonstop-Irgendwas. So ist der Aufschwung, den ich nicht beschädigen will. Deshalb zum Verhalten von Joachim Scharpf – Angebot namens Mittagessen – nur so viel: Wenn sich der Müller zum Einsatz gürtet, zittert jegliches Verbrechen in seinem Versteck.
Also Korruptionsversuchsfehltritt … Es wird interessant, denkt der Müller. Und bestellt Kaffee schwarz. Und Scharpf, wo sich eben noch zurückgelehnt und das Gespräch schon auf der Zielgeraden wähnte, bleibt ihm gegenüber und sagt, dass er hofft auf Aufklärung – genau wie wir, weil wenn Schweinehasser oder Bohneneintopfvergifter unterwegs, droht auch uns Gefahr, weil wir auch ein Herz für Schweine haben und gerne eines auf den Grill legen oder als Wurst Teile von ihm geniessen und gegen das Leiden sind und manchmal auch Bohneneintopf essen wollen, und zwar gefahrlos.
Aber wo ist das Motiv? Und von da aus, davon gehen wir aus, findet Müller bestimmt den Täter. Weil das Motiv ist der Schlüssel, immer. Er wird ihn finden, weil wir haben Vertrauen in den Müller, denn wir wissen, dass vor dem Waffenzwischenfall mit psychischem Trauma er immer exzellente Leistungen brachte: gute Quote, speditive Ermittlungen, kreative Lösungen, keine Ausrutscher, keine Formfehler, keine illegal erworbenen Beweismittel, immer alles gut.
Scharpf wechselt das Register. Spielt jetzt die Emotionstastatur: »Wer tut mir das an?« Und blickt in die Ferne, das heisst an die Brandmauer des Nachbarhauses.
»Hm«, sagt Müller, einen Rest vom Kaffeeschäumchen am Mundwinkel. Scharpf ahnt in dieses wissende Hm hinein, es könnte ein Indiz sein, dass der Müller gerade im Hirn verschiedene Hypothesen abwägt, Theorien aufstellt und die Ermittlungsstrategie zumindest anskizziert. Scharpf weiss, er wird wachsam sein müssen und alle Wahrnehmungen dem Müller mitzuteilen haben, selbst wenn seine eigene Grossmutter in Altersboshaftigkeit die Schweine vergiftet hätte. Weil das ist Fairness gegenüber der Polizei. Man muss immer alles sagen, sachlich und wahrheitsgetreu und objektiv – und ja nicht aus Geltungssucht etwas hinzufügen oder so. Es kommt ja sowieso aus.
Du wirst es nicht glauben, aber so war es: In diesem Augenblick fällt Müllers Blick auf eine Gratiszeitung vom Tag, und da steht als Schlagzeile: »Der tote Dylanologe«. Also »der verstorbene Mensch, der sich eingehend mit der Musik und den Texten des US -amerikanischen Folksängers Robert Zimmerman beschäftigte«.
Pure Unkonzentriertheit, die hat jetzt noch nichts zu bedeuten,
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