Mueller und die Schweinerei
Schwendihof-Schweinestall, der mannshohe Riesenrollschinken … frühmorgens, ein Kind kommt herein, um vor der Schule kurz noch die warmen Eier vom fröhlich gackernden Vieh zu greifen … sieht den Gigantenschinken, erschrickt, erleidet einen Infarkt, wird traumatisiert (da ist Müller Spezialist) … da könnte man doch ausser neben der menschlichen Tragödie zusätzlich auch noch von zumindest fahrlässiger Körperverletzung sprechen – und eben von Hausfriedensbruch. Und einen gewissen Aufwand haben sie auch verursacht: ein Polizist und ein Suspendierter mitten in der Nacht ausserkantonal nach Oberlunkhofen, dort warten, lauern, dann der Abtransport, die Analyse, die Vernichtung des Fleisches. Arbeitsstunden, Material- und Infrastrukturkosten, Fahrkilometer schon wieder eine unnötige CO 2 -Belastung. Zahlt alles wer? Natürlich, Sie und ich.
Und moralisch-ethisch ist die Kunstaktion durchaus ebenfalls unschön: Man spielt doch nicht mit Lebensmitteln!
»Ist eben Ansichtssache«, sagt Michael Hauser in seiner Küche dem Müller beim Kaffee. Hauser erläutert ihm seine Sichtweise von Kunst, die der Müller ihm gar nicht zugetraut hätte, obwohl Sympathie durchaus da, aber trotzdem positiv überrascht. Weil du denkst, da ist einer bloss so ein Gitarrenheini und Schlagzeugeraufzähler und Kleingedrucktesleser und Interpretationsbeschreibungfanatiker mit fortschreitendem Gehörproblem und Problemen mit nicht englischsprachigen Fremdwörtern, und da kann der plötzlich ganz anders.
Aber warum erzählte Hauser bei der Befragung nach der Festnahme im Stall, dass er einen »kleinen Gegenstand« suche? Ablenkungsmanöver.
Und die Geschichte, ein Medium zu sein?
Hauser: »Ich hoffte, dass der Riesenrollschinken vielleicht in einem anderen Stall steht. Dass ich mich einfach in der Adresse geirrt habe … Ich wollte die Story nicht verraten. Ich habe sie exklusiv!«
Müller: »Aber so eine esoterische Show abzuziehen vor der Polizei? Ein Medium –«
Hauser: »Mir ging es da miserabel. Private Probleme. Ich wollte nur noch meine Ruhe.«
Das kann der Müller verstehen.
Aber der Hauser ist trotzdem nicht in jedweder Hinsicht kooperativ, nämlich wo es um Namen geht, wird er stumm wie ein Lachs. Da sagt er gar nichts mehr und schweigt total konsequent, was natürlich den Müller ärgert.
»Quellenschutz«, sagt Hauser. Ein schönes Wort. Und sein Recht. Da könnte der Müller nur bei einem Kapitalverbrechen etwas machen. In diesem Fall aber nicht. Versucht etwas schöne Worte so von »Kooperation und Freundlichkeit« und was man so sagt, um einen einzuseifen. Aber Hauser beharrt auf seinem Schweigen.
Macht sogar einen Punkt, sagt nämlich zum Polizeimann: »Wo ist meine Kamera jetzt? Sie ist mir runtergefallen, als Sie mich im Stall gepackt haben?«
Müsste die Polizei korrekterweise eine Quittung ausgestellt haben, sonst zu Recht Beschwerde des Geschädigten möglich.
Der Müller merkt, Hauser ist wild auf ein grosses Foto des Schinkens, beruflich bedingt. Bildbeweis. Darum kommt Müller jetzt dem Journalisten entgegen, auch weil er ein bisschen eitel ist: Hauser erhält also von der Spurensicherung ein Foto vom Rollschinken am Schauplatz. So kann er den Artikel zur Kunstaktion doch noch unter die Leute und auf sein Konto bringen. Mehr noch: Das Eingreifen der Polizei, das Handgemenge mit dem Journalisten, der Abtransport des Schinkens und seine forensische Analyse durch den WD , das alles hat die Brisanz der Kunstaktion gesteigert. Also keine verlorene Nacht für Hauser, damals im Schweinestall. Und vielleicht liest Kathrin in ihrem Büro an der Universität den Artikel, denn schliesslich geht es um Kunst, und liest seinen Namen. Liest, dass er nicht ein öder Zahlenjonglierer ist, sondern eine komplexe Ermittlerpersönlichkeit, also einer, der ein spannendes Leben verbringt. Auch der vermeintliche Clearing-Crack hat Superadrenalinausstoss! Auch ein Polizeiadrenalinausstosser hat geistiges Leben voller Tiefgründigkeit, weil Hauser wird ein Müllerzitat über moderne Kunst in den Text hineinschreiben: »Abgesehen von der gesetzlichen Fragwürdigkeit des ›mannshohen Rollschinkens‹ war ich vom performativen Charakter dieser Kunstaktion überrascht, die sich wohl zu den radikalsten Positionen der westeuropäischen Gegenwartskunst rechnen lässt«, was doch bei Kathrin seine Wirkung nicht verfehlen wird.
Und vielleicht ruft sie dann zurück. Fragt: He, bist du das etwa? Der von der Polizei, der etwas von
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