Mueller und die Tote in der Limmat
um den Brei herumreden, gesichtet hat den lieben Sonntag lang. Denn der dauert vierundzwanzig Stunden, wovon es jetzt circa siebzehn lang hell ist, weil die Jahreszeit es so von ihm verlangt.
Auch Sonntag, aber Abend. Etwa 8.00 p.m. ist die Uhrzeit. Industriezone Altstetten: Bernerstrasse = Autobahn, wo in Stadt hineindrängt. Gewerbehaus. Menschenleer. Untergeschoss. Da auch heisse, abgestandene Luft ohne Zirkulation. Wie ein dreckiger heisser Umschlag. Treppe → Untergeschoss: An unser Ohr dringt Rockmusik. Von weit her. Wie eine Dampframme auf einer Baustelle, die Pfähle im Boden verankert. So verankert diese Musik ihre Erzeuger in der Welt. Ich gehe näher. Kommen Sie mit? Nicht dass ich allein Angst hätte, nein, nein, passiert hier wahrscheinlich nichts. Ist Zürich. Da habe ich keine Angst. Sondern weil ich Ihnen etwas zeigen will: den Proberaum der Zürcher Band Spitfire , seit achtzehn Jahren etwas vom Besten, was, sogar gelegentlich international. Machen Rock. Nicht dieses langweilige Erwachsenenzeug fürs Mainstreamradio, nicht dieses bunte Ding für die Videogeneration. Nicht das Wehleidig-Nachdenkliche für die Pickelträger. Nicht diese Crossovermasche für unentschlossene Kompromissler und lahme Fast-Modernisten. Sondern harten, ehrlichen Rock. Ungefähr Sex Pistols trifft Metallica , und dann und wann erhebt sich Johnny Cash aus seiner Gruft. Können Sie sich ungefähr so vorstellen. Laut und kräftig, manchmal sehr laut, sagen wir’s so: gut männlich.
Das als Hintergrund, damit Sie vorbereitet sind, was jetzt kommt. Türe aus unerfindlichen Gründen in Türkis. Klinke runterdrücken. Aufschieben. Musik plötzlich ganz laut. Und Rauchwolke quillt heraus.
Darin vernebelt Spitfire , das heisst folgende Protagonisten des Zürcher Rocklebens. Von links nach rechts: Sänger Mark Huber (28), Typ blonder Schönling; Keyboarder Stefan Meier (26), Typ Nerd, der sich von Computern ernährt; Schlagzeuger Goran Krstic (38), Typ Oberarmmonster; Gitarrist Hanspeter «Hausi» Sollberger (32), Typ Trujillo Metallica , was bedeutet: elastisches Gesicht und lange dunkle Haare und sein Instrument elektrisch und auf Schienbeinhöhe trägt er’s, weil Mann formt mit dem Körper fast ein S, wenn am Instrument, Latino; Bassist René Gabathuler (32), kein Typ, aber macht seine Sache recht. Und seltsamerweise ist da auch Sebastian Fuhrer (33), der hier was weiss ich was zu suchen hat. Vielleicht ein Bier gratis? Sie alle ausser Sebastian rocken, was das Zeug hält. «When Death Cometh To Zurich-Leimbach», heisst der Song, den sie gerade in die Instrumente hauen, quasi ihr Evergreen, der, ich spielte darauf an, sogar in Skandinavien eifrig rezipiert wurde und heute noch wird und an Konzerten stets ein Abräumer. Die Lautsprechermembranen im Proberaum pulsieren heftig. Reisst mit, dieses «Epos über Vergänglichkeit und Wahnsinn, die in der scheinbaren Normalität verborgen sind», wie einst ein Journalist geschrieben hatte. «Epos», weil ziemlich viel länger als vier Minuten. Restliche Aussage, weil wirklich bedrohlich. Da wachsen dir die Haare sofort. Und sogar bekannt bis Skandinavien. Spitfire aber keine Hardrockband, nein, nein. Name ist britisches Flugzeug aus Grossem Krieg. Also vielleicht Hinweis auf «British Wave of Heavy Metal»? Ha! Das ist eben die Ironie. Weil, klingen eher kalifornisch. Mit Prise London, darum die Sex Pistols vorher erwähnt, capisci? Und dieser Song wirklich schnell und laut und präzis und dunkel und fast wie Dampfwalze auf Rädern. Aber nicht alle sind glücklich. Denn zu hören ist:
«Beleidigendes Schimpfwort!» (Hier nicht wiederzugeben, weil sonst → Sittenverrohung und Index.)
War wirklich rüde. Die Stimme ruft es monstermässig laut in den Krach hinein. Angesprochen ist Sänger Mark Huber. Verdreht die Augen, verwirft die Hände wie ein Fussballversager vor dem leeren Tor, stampft auf den Boden und wendet sich von der Wand, die er beim Singen innig betrachtet hat, zu seinen Rockkameraden um.
«Wer zum Teufel …?», brüllt er. Jetzt besser zu hören, weil alle fertig, nur René auf Bass noch einige Arpeggi und Läufe und Riffs und solche Sachen. Einer muss ja immer querschlagen.
«Wer zum Teufel …?», brüllt Sänger Mark Huber, «… hat mir ‹beleidigendes Schimpfwort› zugerufen?»
War schon nicht freundlich.
«Wer zum Teufel … versaut immer den Einsatz nach dem ersten Refrain? Wer zum Teufel erinnert sich nie richtig an den Text, obwohl das Lied schon
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