Mueller und die Tote in der Limmat
Sihlfeld», weil er gerne isst und darum 110 Kilogramm misst, und mündlich teilt Manfred dem Müller mit: «Sali, Beni», denn er hat ihn gesehen, und der Müller: «Sali, Mamfi». Es ist schon komisch, sich so wieder zu begegnen. Weil jetzt wieder erstes Zusammentreffen wie jahrelang dienstlich. Der Müller steht in Badehosen der Polizei gegenüber als Zivilist. Da gerät deine Identität ins Wackeln. Aber kein Problem mit Bucher Manfred, weil die beiden seit der Polizeischule auch privat oft miteinander. Essen und Kino und die Zeitung durchdiskutieren und die Arbeit und die Politik und Fussball und was man so spricht. Sogar privat weiss der eine, was der andere. Sorgen und Nöte und auch Freude und Interessen. Nicht nur Arbeitskollege, sondern Freund. Und Bucher Manfred und der Müller jetzt während Krankschreibung oft in Kontakt, wenn es der Dienstplan zulässt. Mal essen, mal telefonieren, sogar einmal Kino. Und der Umgang mit dem Müller beschädigt nicht dem Manfred seinen Ruf. Weil der Müller, er ist voll unschuldig (Gerichtsurteil). Und ist nicht im Streit vorübergehend (?) aus der Polizei ausgeschieden, sondern wegen des Traumas. Weil Müller Benedikt ist da ganz empfindlich, weil flagrante Diskrepanz von Anspruch seiner Ethik und der Leistung im Praxisleben. Und da brauchst du die Unterstützung und die Freunde, die dich kennen und mögen, weil sie dich anders sehen als nur als Fall. So ein Freund ist Bucher Manfred.
Und der Müller hat von allem gar nichts gesehen, das er berichten könnte: Wie die Leiche heranschwamm, weil er hat ja geschlafen. Und wirklich: seine Augen = ganz kleine, schmale Schlitze. Gesicht verquollen. Gesichtsfarbe rot, folglich Sonnenbrand. Der Müller zieht sein Hemd über, «aua! Das scheuert!» und sagt es Bucher Manfred, dass er erst seit dem Schrei wieder bei Sinnen ist, und Manfred glaubt ihm, weil, warum sollte er ihm nicht glauben. Nie hatten sie Probleme miteinander, und Müller war immer gut, seriös, problemlos, pflichtbewusst, und alles lief immer glatt. Aber mit einem Problem, wie es der Müller hat, mobilisiert sogar der härteste Polizist das Mitgefühl zu seinem Kollegen, dem so etwas passiert ist. Und zum Klarstellen: Der Müller ist im Fall «Sandra» ja keineswegs verdächtig, weil er ist ja die Hauptperson, der sogenannte «Protagonist». Keine Beunruhigung.
Ein bisschen weiter kommt der Müller am Montagabend. Da schrammt er an der Kulturszene entlang, die wichtig ist in der Stadt Zürich, sogar in diesem Todesfall. Denn Kultur ist schön, macht viel Freude, kostet wenig, bringt nichts ein, und manchmal findet man durch Kultur Freunde, und auch bringt sie einem zum Nachdenken. Zum Beispiel wenn sie brisante Fragen stellt, zum Beispiel über das Leben. Darum interessiert sich auch der Müller für sie, weil er sich auch gerne Fragen stellt, zum Beispiel über das Leben, und jetzt fragt er sich gerade: «Wer ist Sandra?» Eigentlich geht es ihn gar nichts an, weil also Achtung, nur dass es klar ist: Er hat ja gar keine Befugnis, sich da hineinzumischen.
Aber trotzdem merkt er etwas am Montagabend. Er sitzt gerade zu Freizeitzwecken beim ausrangierten Berliner S-Bahn-Wagen am Fluss, der zu einer Wirtschaft umgebaut ist. Steht vielleicht zweihundert Meter flussabwärts vom Flussbad Oberer Letten, aber gerade neben der Limmat. Er trinkt ein kühles Blondes mit Schaumkrone und schaut und freut sich an der Hälfte der Leute, die mit viel blosser Haut am Leib dasitzen, vorbeispazieren und manche auf dem Velo, was die Beine verlängert und das Muskelspiel sichtbar macht. Aber viele Frauen, das muss ich wirklich sagen, treten immer viel zu grosse Übersetzung und murksen darum, statt sich schnell und geschmeidig zu bewegen. Zum Zuschauen nicht so schlimm, einfach nur ein bisschen schade.
Und der Müller also auf dem Sofa vor dem S-Bahn-Wagen, das kühle Blonde mit Schaumkrone aus Altstetten und die brennende Zigarette und Christoph Weiss (36) angetroffen. Ist rein zufällig Deutscher und seit der Personenfreizügigkeit zugewandert und dafür mitverantwortlich, dass Zürich die grösste deutsche Stadt in der Schweiz geworden ist. Nicht so schlimm. Aber kein Preusse, sondern nett und aus einer Stadt dort, wie heisst das dort, wo sie früher so viel Stahl und Kohle, also ich weiss es gerade nicht. Jedenfalls ist er CEO von «Bretzeli.ch», woran dem Müller sein Jugendfreund und immer noch Freund Franz Schubert (45) zur Hälfte beteiligt ist, weil er an die Zukunft
Weitere Kostenlose Bücher