Erloest
1
Meine Augen sind ganz fest geschlossen, und ich atme einmal tief durch. Okay, Grace, trau dich endlich, denke ich, spüre jedoch, wie mein Herz mir bis zum Hals schlägt, und zögere noch einen Moment. Aber es hilft ja nichts, ich muss es wissen.
Ganz vorsichtig öffne ich die Augen einen Spalt und blinzle auf die weiße Plastikschiene mit Sichtfenster in meiner Hand, die ich schon die ganze Zeit umklammert halte. Ein paar Minuten sollte man warten, stand auf der Packung. Die sind schon lange verstrichen, deshalb bin ich ziemlich sicher, dass das Ergebnis zu sehen ist.
Ist es auch. Ein dicker blauer Strich, mitten in dem Sichtfenster. Genau das, was ich befürchtet hatte.
»Schwanger.« Ich spreche es laut aus, weil ich es, obwohl ich es schon geahnt habe, einfach nicht glauben kann.
Jonathan und ich bekommen ein Baby.
Bis heute wusste ich nicht, dass man gleichzeitig totale Freude und völliges Entsetzen empfinden kann. Aber es geht offensichtlich, denn beides mischt sich gerade in mir zu einem so schwindelerregenden Chaos, dass ich mich am Wachbecken festhalten muss, um nicht umzufallen.
Tausend Gedanken schießen mir gleichzeitig durch den Kopf. Ein Kind. Wie wundervoll! Nur, wie ist das möglich, wo wir doch immer verhütet haben? Ausgerechnet jetzt. Und was wird Jonathan sagen? Wird er es wollen?
Ich hebe den Kopf und blicke in den Spiegel. Meine grünen Augen leuchten fast fiebrig, und mein Gesicht ist so blass, dass der Kontrast zu meinen rotblonden Haaren richtig krass ist.
Okay, Grace – eins nach dem anderen, ermahne ich mich und versuche, die Punkte einzeln durchzugehen.
Wie kann es sein, dass ich schwanger bin, obwohl ich die Pille nehme? Es war doch alles in Ordnung, alles wie immer, ich habe sie nicht vergessen, und es war auch nichts anders als … Verdammt, denke ich plötzlich. Diese üble Magen-Darm-Grippe, die mich so kalt erwischt hat letzten Monat. Drei Tage war ich total ausgeknockt, konnte mich kaum rühren – und auch kaum etwas bei mir behalten. Vielleicht hat das die Wirkung beeinträchtigt? Der Gedanke ist mir überhaupt nicht gekommen, ich dachte, die Pille wäre die sicherste Verhütungsmethode überhaupt, wenn man sie nur regelmäßig nimmt. Innerlich schlage ich mir vor die Stirn, weil das so typisch für mich ist. Aber letztlich ist es ohnehin egal, warum es so gekommen ist. Es war auf jeden Fall keine Absicht – und es ist ein denkbar ungünstiger Zeitpunkt, weil ich gerade an alles gedacht habe, nur nicht an ein Baby.
Ich meine, ich bin erst vierundzwanzig, seit gut einem Jahr mit dem aufregendsten Mann in ganz England verheiratet und eigentlich gerade damit beschäftigt, mich meiner Karriere zu widmen. Als Projektmanagerin fasse ich im Moment richtig Fuß in Jonathans Firma, die Arbeit macht mir Spaß und ich fühle mich wohl, erreiche viel. Wenn ich jetzt schwanger bin, dann wirft das meine Pläne ganz schön durcheinander.
Nicht, dass Jonathan dafür nicht eine Lösung finden würde. Das tut er immer, deshalb bin ich eigentlich sicher, dass sich das irgendwie regeln lässt – wenn er das überhaupt will. Es kann nämlich durchaus sein, dass er total entsetzt ist, wenn er von dem Baby erfährt. Denn als wir das letzte – und bisher einzige – Mal über dieses Thema sprachen, hat er es noch kategorisch abgelehnt, jemals Kinder zu bekommen.
»Mrs Huntington?« Die Stimme unserer Haushälterin erklingt vor der Schlafzimmertür, und ich lasse den Test ins Waschbecken fallen und laufe schnell durch das angrenzende Schlafzimmer zur Tür. Mrs Matthews würde niemals unaufgefordert hereinkommen, aber ich fühle mich trotzdem irgendwie ertappt.
»Was ist denn?«, frage ich und versuche, meinen aufgelösten Zustand hinter einem Lächeln zu verbergen, als ich die Tür öffne.
»Ich wollte nur fragen, ob ich etwas zu essen für Sie und Ihre Schwägerin vorbereiten soll«, erklärt mir Mrs Matthews, die wie immer einen Kittel trägt. »Sie haben noch nicht gefrühstückt, und ich dachte, Sie hätten vielleicht gerne etwas, wenn Mrs Norton gleich kommt – ein paar Eier mit Schinken?«
Sarah, denke ich erschrocken und schlage mir schon wieder innerlich vor die Stirn. Stimmt. Sie wollte heute früh vorbeikommen. Aber ich war so mit dem Test beschäftigt, dass ich das ganz vergessen habe.
»Oh, das wäre sehr nett. Aber keinen Schinken, bitte.« Allein bei dem Gedanken an den Geruch wird mir spontan schlecht. »Nur ein paar Eier. Wenn es Ihnen nichts ausmacht?«
»Aber
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