Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Muschelseide

Muschelseide

Titel: Muschelseide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
Vom Netzwerk:
wohler.
    Ich sagte:
    »Wer vertrug sich schon mit Tante Lavinia? So großkotzig, wie sie war.«
    Dass die Eltern 1953 zur Krönung Elisabeths II. nach London gereist waren, hatte sie mir jedes Mal unter die Nase gerieben, wenn ich nicht gehorchte. Mir, dem ungezogenen Mädchen, würde Ihre Majestät nie eine Einladung schicken. Weil mir Ihre Majestät schnurz war, zerrte mich Lavinia an den Haaren, was sehr weh tat. Sie sperrte mich auch in die Besenkammer, wo ich die Tür mit Fußtritten traktierte und fürchterlich schrie.
    »Sie war nicht ... wie du sagst«, Ricardo räusperte sich. »Sie war nur konsequent. Und Francesca trug viel Unruhe im Blut.« »Ich doch auch.«
    »Du nicht, nein. Du warst immer vernünftig.«
    Was er sagte, klang sehr überzeugt. Ich bewunderte seine Fähigkeit, die schlaflosen Nächte zu vergessen, die ich ihm beschert hatte. Ich ließ ihn seine Erdbeeren essen und enthielt mich jeder Zwischenfrage, weil ich nicht wollte, dass er, wie so oft, die Unterhaltung abrupt beendete. Das bisschen, was ich von Francesca wusste, machte mich zunehmend neugierig.
    Zum Kaffee setzten wir uns in den Wintergarten. Je nach Temperatur, Wind und Licht war es hier sehr angenehm. Ricardo hatte immer eine blasse Gesichtsfarbe gehabt; jetzt zeigte das helle Licht, wie alt und fahl seine Haut schon war. Immerhin hielt er Maß im Essen, sodass er nicht zum Fettkloß geworden war wie seine Ahnen, deren Wohlstand noch am Körperumfang bemessen wurde. Im Raucherzimmer hing das Bild der kleinen, überfütterten Catharina. Sie war 1828 an Herzversagen gestorben. Dreizehn war sie nur geworden.
    Ich schenkte Ricardo Kaffee ein. Er dankte mit freundlichem, zerstreutem Kopfnicken. Ich sagte:
    »Vor zwei Jahren, als ich in New York war, habe ich bei Francesca angerufen. Ich sprach mit einem Mann, der mir sagte, dass sie in ihrem Atelier in Merrywood sei. Er gab mir ihre Telefonnummer. Ich rief ein paar Mal an, aber sie nahm den Hörer nicht ab. Dann ging mein Flug, und aus dem Treffen wurde nichts.«
    »Schade«, erwiderte er unverbindlich. »Sie hätte sich gewiss gefreut, dich zu sehen.«
    »Ach, ich weiß nicht. Sie hatte ja meine Handynummer. Aber sie hat nie zurückgerufen.«
    Eine verpasste Gelegenheit, wie es oft vorkommt. Im Nachhinein tat es mir leid. Immerhin mochte Francesca ihre Gründe haben.
    »Sie hat auch Marina kein einziges Mal getroffen. Für sie sind wir weit weg und einfach nur langweilig.« Ricardo schaute durch mich hindurch, bis ich wieder kribbelig wurde.
    »Langweilig?«
    Er nickte unbestimmt.
    Einmal las ich ein Interview mit ihr in der Vogue .« »Ach ja? Wann war das?«
    »Vor zwei Jahren oder so. Sie führt ein interessantes Leben, und hier in Valletta ist ja kaum etwas los ... «
    »Ricardo, das sollte ihr inzwischen egal sein. Sie ist neunzig!«
    »Auf den Bildern in der Vogue sah sie noch recht gut aus.
    Du hast zumindest eine Beschäftigung, die dir Abwechslung bringt. Aber Francesca! Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie sich bei uns wohl fühlen würde ...«
    Es war, als redete er mit vollem Mund. Früher war mein Vater ein unterhaltsamer Mann gewesen, der sich über sich selbst und unsere Familie sehr geistreich äußerte. Wo war seit Mutters Tod der Humor geblieben? Er nahm an nichts mehr teil oder allenfalls oberflächlich. Er machte auch mit mir keine Ausnahme. Seine hellen Augen registrierten mein Gesicht und nahmen gleichzeitig die Abwesenheit Francescas zur Kenntnis. Ich kannte Ricardo und spürte instinktiv, dass er sie nicht hier haben wollte. Seiner Natur nach war er konservativ, mit dem ganzen Ballast, der dazugehörte. Hinter seinem unaufrichtigen Schweigen lag verkrustete Abwehr, Bestürzung und gleichzeitig auch unterschwellig so etwas wie ein Ertapptsein. Er fürchtete Erklärungen; offenbar hatte er für das, was er sagen konnte oder wollte, noch keine fertige Fassung. War es eine Schwäche in seinen Augen, sich gehen zu lassen? Ich machte den nächsten Anlauf, mit ihm zu reden, und ließ es bleiben, als er den Kopf von mir weg drehte.
    »Sei mir nicht böse, Beata. Ich bin müde.«
    Die Form wurde gewahrt oder zumindest der Anschein. Er war wahrhaftig müde, eine Nachwirkung der Medikamente. Heute Abend Tennis spielen? Nein, ihm stand nicht der Sinn danach. Ich wurde ungeduldig, nach dem Essen musste ich Bewegung haben. Ich sagte, er sollte sich ausruhen. Er bewegte schlaff die Hand, rutschte leicht nach vorn und blieb, schwerfällig ein- und ausatmend, in dieser

Weitere Kostenlose Bücher