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Muster - Steffen-Buch

Muster - Steffen-Buch

Titel: Muster - Steffen-Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raidy
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schnell wieder abdüsen zu können und auf der Suche nach Abenteuern in unbe-kannte Gefilde vorzudringen. Unsere Eltern schienen es zufrieden zu sein, nebeneinander auf einer Decke zu liegen, an ihrem Rotwein zu nippen und uns beim Spielen zuzuschauen.
    Es war immer ein Erlebnis, wenn unsere Familie in die Sommerferien fuhr. Die Reiseplanung war erklärtermaßen Moms Domäne. Vor jeder Reise plante sie jedes Detail und platzte fast vor Stolz, wenn dann alles reibungslos klappte. Gewöhnlich fuhren wir in den Portola Park oder den Memorial Park und campten etwa eine Woche lang in unserem riesigen, grünen Zelt. Doch wann immer Vater mit uns in Richtung Norden über die Golden Gate Bridge fuhr, wusste ich, dass wir meinen absoluten Lieblingsplatz auf der Welt ansteuerten - den Russian River.
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    Die Reise, die mir am besten in Erinnerung geblieben ist, unternahmen wir, als ich in der Vorschule war. Am letzten Schultag bat Mom in der Schule darum, mich eine halbe Stunde früher gehen zu lassen. Als Vater draußen hupte, stürmte ich den kleinen Hügel vor der Schule zum wartenden Auto hinauf. Ich freute mich diebisch, weil ich wusste, wohin wir fuhren. Die scheinbar endlosen Weinberge faszinier-ten mich. Als wir das ruhige Städtchen Guerneville erreichten, kurbelte ich das Seitenfenster herunter, um den süßen Duft der Redwoodbäume einzuatmen.
    Jeden Tag erlebten wir ein neues Abenteuer. Meine Brüder und ich verbrachten die Tage entweder damit, auf einen alten, ausgebrannten Baumstamm zu klettern, oder am Johnson's Beach im Fluss zu schwim-men. An diesem Strand blieben wir meist den ganzen Tag. Wir verließen unsere Blockhütte um neun und kamen nach drei Uhr nachmittags zurück. In jenem Sommer brachte mir Mom das Rückenschwim-men bei. Sie war sehr stolz, als ich es schließlich konnte.
    Jeder Tag barg neue Wunder in sich. Eines Tages sahen wir Kinder uns mit Mom und Dad den Sonnenuntergang an. Wir hielten uns alle an den Händen, als wir an Mr. Parkers Blockhütte vorbei zum Fluss gingen. Das grünlich schimmernde Wasser lag vor uns wie ein großer Spiegel. Die Eichelhäher kreischten und eine warme Brise strich mir durch die Haare. Wir standen wortlos da und beobachteten, wie der riesige Feuerball hinter den großen Bäumen versank und hellblaue und orangefarbene Streifen im Himmel hinterließ. Jemand umfasste meine Schultern. Ich dachte, es sei Dad. Ich drehte mich um und strahlte über beide Backen, als ich sah, dass es Mom war, die mich an sich drückte.
    Ich spürte, wie ihr Herz pochte. Ich habe mich nie wieder so sicher und so geborgen gefühlt wie in diesem Augenblick am Russian River.
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    3.

Ein schlechter Junge
    Moms Verhalten mir gegenüber geriet im Laufe der Zeit außer Kontrolle. Ihre anfänglichen Disziplinierungsmaßnahmen arteten bald in brutale Bestrafungsaktionen aus, die absolut unverhältnismäßig waren. Es wurde mitunter so schlimm, dass ich keine Kraft mehr hatte, wegzukriechen - auch wenn es darum ging, mein Leben zu retten.
    Als kleines Kind hatte ich wahrscheinlich eine Stimme, die weiter trug als andere Stimmen. Ich hatte auch das Pech, immer erwischt zu werden, wenn ich etwas anstellte, auch wenn meine Brüder oft das gleiche »Verbrechen« begingen wie ich. Anfangs verbannte Mom mich in die Ecke unseres Kinderzimmers. Ich hatte mittlerweile Angst vor Mom. Große Angst. Ich flehte sie nie an, mich wieder herauszulassen.
    Ich saß da und wartete, bis einer meiner Brüder ins Zimmer kam und ich ihn darum bitten konnte zu fragen, ob David jetzt herauskommen und spielen könne.
    Moms ganzes Verhalten veränderte sich nach und nach radikal.
    Wenn Vater arbeiten war, lag sie zuzeiten den ganzen Tag im Bade-mantel auf der Couch und sah fern. Sie stand nur auf, um zur Toilette zu gehen, sich einen neuen Drink zu holen oder um Essensreste auf-zuwärmen. Wenn sie uns anschrie, verwandelte sich ihre Stimme von der einer fürsorglichen Mutter in die einer bösen Hexe. Bald liefen mir Schauer den Rücken herunter, wenn ich Mutters Stimme hörte. Auch wenn sie einen meiner Brüder anblaffte, rannte ich in unser Zimmer, um mich zu verstecken, und hoffte, dass sie bald wieder zu ihrer Couch, ihrem Drink und ihrer TV-Show zurückkehren würde. Nach einer Weile konnte ich daran, wie sie gekleidet war, ablesen, wie mein Tag werden würde. Ich stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, wann immer ich Mom in einem schönen Kleid und geschminkt aus ihrem Schlafzimmer kommen sah. An solchen Tagen

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