Mutterschuldgefuehl
machen, wenn es Probleme gibt?«
Ich verstehe nicht sofort, was er meint.
»Na, wenn das Kind sich nicht optimal entwickelt. Wenn es nicht so wird, wie es sein soll.«
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Wie es sein soll? Mit dieser unverblümten Ansprache hatte ich nicht gerechnet. Eben noch stand ich freudestrahlend vor ihm. Jetzt gefrieren mir sämtliche Gesichtsmuskeln. Ganz klar - dieser Arzt teilt nicht meine ungetrübte Freude über das neue Leben in mir. Dieser Arzt misst meinen Nachwuchs nüchtern und praktisch an Normen.
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»Wissen Sie«, sagt der Herr Doktor, »man kann durch die neuen Untersuchungstechniken verschiedene Behinderungen des Kindes entdecken. Wie stehen Sie denn zu Schwangerschaftsabbrüchen?«, fragt er freundlich.
»Wir haben uns das gut überlegt«, sage ich. »Wir wollen das Kind in jedem Fall behalten.«
»Das sollten Sie noch einmal überdenken«, sagt er.
»Nein«, erwidere ich. Ich bin verwirrt. Ich kann nicht glauben, dass er mir widerspricht. »Wir sind uns sicher. Wir haben uns entschieden. Wir brauchen keine Tests, weil wir auch nicht abbrechen würden.«
Er wedelt unwillig mit der Hand. Offenbar hat er mir nicht richtig zugehört.
»Lassen Sie uns das noch einmal ausführlich besprechen. Ich muss Sie da gründlich aufklären. Das ist ein Pflichtgespräch. Lassen Sie sich von der Arzthelferin einen Gesprächstermin geben. Und bringen Sie Ihren Mann mit.«
Er lächelt kurz und ist weg. Ich starre ihm entgeistert nach.
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Es gibt sicherlich Frauen, die sich durch solche Gespräche nicht aus dem Gleichgewicht bringen lassen. Ich gehöre nicht dazu. Nein, dieses Gespräch kostet mich einige Nerven. Denn dieser kleine Dialog schmeiÃt mich mit Karacho aus meiner beseelten heilen, kleinen Mutterwelt. Eben noch voller gutgläubiger Vorfreude, begreife ich abrupt und ohne Vorwarnung, dass nicht jeder nett lächelnde Mensch mein Kind willkommen heiÃen würde, wie es auch sei. Zum ersten Mal wird mir in aller Deutlichkeit bewusst, dass dieser emsige Mediziner mich nicht nur in der Schwangerschaft kontrolliert, um Risiko und Gefahr für Mutter und Kind auf ein Minimum zu reduzieren, sondern offenbar auch, um meinen Nachwuchs zu bewerten, auch wenn ich das gar nicht will, um dann sachlich seine Lebensberechtigung abzuwägen. Ade, du Zeit der guten Hoffnung. Es war schön. Vor allem schön kurz.
Mein Arzt - Vertreter für pränatale Diagnostik?
Es ist ein gehöriger Unterschied, ob ich mich an einen Arzt wende, weil ich glaube, mit einem behinderten Kind überfordert zu sein, oder aber ob mein Arzt mich ohne konkreten Anhaltspunkt auf eine Abtreibung anspricht, weil er glaubt, mein Kind könne eventuell »nicht optimal entwickelt« sein. Offenbar besteht hier ein grundlegendes Missverständnis. Ich bin zum Arzt gegangen, um mich für die Gesundheit meines Nachwuchses einzusetzen, nicht aber, um über dessen Leben und Tod zu entscheiden. Ich bin gekommen, um mich auf meinem Weg unterstützen zu lassen, nicht aber, um über meine Entscheidungen zu diskutieren. Ich werde zu etwas gedrängt, was ich nicht will - ich soll mich in existenziellen
Fragen von einem Schulmediziner beraten lassen, der meines Wissens keine andere Qualifikation hat als die, meinen Unterleib untersuchen zu dürfen. Habe ich vielleicht unwissentlich so etwas wie eine Generalvollmacht über mich erteilt? Habe ich irgendetwas in meinem Mutterpass unterschrieben und das Kleingedruckte nicht gelesen? Ich suche, kann aber nichts finden.
Trotzdem gehen mein Mann und ich zu diesem Aufklärungsgespräch. Der Arzt hat die besseren Karten. Er hat Erfahrung, wir sind Anfänger und er hat uns Angst gemacht. Aber das Aufklärungsgespräch ist gar keines. Der Gynäkologe macht schlicht Werbung für pränatale Diagnostik. Wir erfahren alles über die Nützlichkeit und Preise der neuen Testverfahren, nichts aber über die Risiken und Folgen dieser hoch technisierten Diagnostik, auch nicht, als wir gezielt nachfragen. Das Gespräch verläuft seltsam wolkig.
»Das Risiko der Testverfahren ist wirklich gering«, sagt er. »Gar nicht der Rede wert.«
»Welche Behinderungen sind die häufigsten?«, frage ich.
»Da gibt es eine groÃe Bandbreite. Das kann man so gar nicht sagen«, antwortet unser Arzt. »Lassen Sie uns erst mal einen Test machen, dann wissen wir mehr.«
»Und
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