Mutterschuldgefuehl
zu meinem Frauenarzt eile, weil der Heimtest auf »schwanger« steht, ist mir das alles egal. Ich habe ihn tausendmal in Filmen und in der Werbung gesehen, unzählige Male in Büchern und Zeitschriften beschrieben gelesen: diesen magischen Moment, in dem der Arzt im weiÃen Kittel das Zimmer betritt und der Patientin fröhlich entgegenruft:
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»Herzlichen Glückwunsch! Sie sind schwanger!«
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Diese kleine, zugegeben dramaturgisch recht dürftige Szene ist vermutlich das letzte Relikt stammesähnlicher Fruchtbarkeitsrituale in unserer hoch technisierten Welt, und ich will es haben. Ich will ganz offiziell in die Riege der Mütter aufgenommen werden. Ich will diesen Rest Tamtam. Und ich will wissen, ob das alles hier mit einem Kind real ist oder nur
ein dummer Irrtum, weil ich den unappetitlichen Schwangerschaftstest verkehrt herum gehalten habe.
Die frohe Botschaft: Ich bin schwanger!
Das bin ich am Anfang dieses Jahrtausends: 34 Jahre alt, glücklich verheiratet, mit Kinderwunsch. Und ich lege Wert darauf zu betonen, dass wir uns beide Kinder wünschen, mein Mann und ich. Jede Frau, die schon einmal einen potenziellen Vater für ihre zukünftigen Kinder gesucht hat, weiÃ, wie schwierig es ist, den Trüffel unter den Männern zu finden, der nicht nur frauen-, sondern auch kinderlieb ist. Und darüber hinaus soll dieser Mann der Wahl seine Partnerin nicht nur lieben, wenn sie gut gelaunt und frisch frisiert durch die Welt spaziert, sondern auch, wenn sie mit tiefen Augenringen und brüllendem Baby im Arm auf dem Sofa hockt. Ja, er sollte vor allem das Baby nehmen und geschickt versorgen, damit die müde Mutter wieder zu Kräften kommt.
Dieser mein Trüffel und ich wissen natürlich, dass Kinder Stress, Arbeit und vermutlich Karriereknick bedeuten, aber wir wollen uns nicht abschrecken lassen. Wir haben es gemeinsam geplant: Ich werde für die erste Zeit den Innendienst übernehmen, während er den AuÃendienst unseres kleinen Familienteams aufrechterhält. Wir sind wild entschlossen, diese ganze Sache der Kindererziehung modern und emanzipiert anzugehen. Wir werden unser Kind liebevoll und mit Spaà erziehen. Wir werden die ganze Welt der Kinderbelange mit offenen Armen begrüÃen und uns kundig machen. Und ich werde mit anderen Frauen Hilfsnetzwerke gründen, wir werden uns austauschen und bestärken. Es wäre doch gelacht, wenn man es mit gesundem Menschenverstand und Organisationstalent nicht schaffen würde, ein erfreuliches Leben für Kind, Vater und Mutter zu zaubern.
Wir haben gerade zwei Jahre in Kalifornien gelebt und kommen mit neuen Ideen in eine neue Stadt nach Deutschland zurück. Und da Paare heute theoretisch selbst entscheiden
können, wann sie versuchen wollen, schwanger zu werden, ist es vielleicht nicht nur unser Aufenthalt im Yes- you-can-do-it- Amerika, sondern auch dieser beeindruckende Gedanke, über Leben oder Nicht-Leben bestimmen zu können, der uns das Gefühl gibt, alles gut planen zu können. Klar haben wir auch Angst vor der groÃen Verantwortung und den Veränderungen, die das Leben als Eltern so mit sich bringt, aber wir sind guter Dinge. SchlieÃlich haben das schon ganz andere geschafft. Und die richtigen Ãrzte können uns sicher sagen, was wir tun müssen, damit es unserem Nachwuchs gut geht.
Egal aber, wie partnerschaftlich wir die Elternschaft angehen: Jetzt gibt es die erste klare Aufgabenverteilung, in der ich als Mutter im wahrsten Sinne des Wortes eine tragende Rolle spiele. Und ich mache zur Vorsicht das, was die meisten deutschen Frauen tun, wenn sie glauben, schwanger zu sein: Ich gehe gleich zu einem Frauenarzt. Ich lege mich brav auf den Untersuchungsstuhl, lasse mich sorgfältig untersuchen und harre dann im Sprechzimmer den Dingen, die da kommen.
Es ist alles wie im Film: Ich rutsche aufgeregt auf einem Sesselchen hin und her und warte gespannt auf den Herrn Doktor. Dieser betritt mit federnden Schritten den Raum. Ich schaue ihm gebannt entgegen. Er trägt einen weiÃen Kittel, er schaut wissend, er lächelt, und dann blickt er mich prüfend an. Ich bekomme feuchte Hände. Mein Herz klopft wie wild.
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»Ja â¦Â«, sagt er gedehnt, »ich will gleich zur Sache kommen.
Sicherlich haben Sie schon eine Ahnung, nicht wahr?«
»Ja«, sage ich nervös.
»Wünschen Sie sich denn ein Kind?«, fragt er milde.
Ich nicke
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