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Mutterschuldgefuehl

Titel: Mutterschuldgefuehl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Hartmann
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wo würden wir Hilfe finden, wenn es tatsächlich behindert ist?«, fragt mein Mann.
    Â»Es ist doch müßig, jetzt darüber zu reden. Wir sollten doch erst einmal feststellen, ob überhaupt eine Behinderung vorliegt«, sagt der Arzt. Er lächelt aufmunternd.
    Â»Aber warum sollen wir denn feststellen, ob eine Behinderung vorliegt, wenn wir sowieso nichts machen würden?«, frage ich störrisch.
    Â»In manchen Fällen kann man schon während der Schwangerschaft die geeigneten Maßnahmen ergreifen und auch Krankheiten heilen«, antwortet er.
    Touché. Das ist der Punkt, der uns verunsichert. Wir wollen nicht schuld daran sein, dem Kind nicht von Anfang an die beste Medizin zu ermöglichen. Ich frage nach:
    Â»Was kann man heilen?« Die Antwort hätte ich mir denken können.

    Â»Ohne Untersuchungsergebnisse macht es keinen Sinn, darüber zu reden«, sagt mein Arzt und lächelt mich an wie ein Staubsaugervertreter. Und dann fügt er ernst hinzu:
    Â»Wissen Sie, Behinderungen sind generell oft eine große Belastung. Für das gesamte Familienleben.«
    Er schaut aus dem Fenster.
    Â»Man sollte sich gut überlegen, ob man das wirklich eingehen will. Ich könnte Ihnen Geschichten erzählen …«
    Wir schlucken.
    Und dann redet er auf einmal doch über »die Behinderung«. Die Behinderung - so der Tenor des Arztes - gilt es generell abzuwehren, in welcher Form auch immer. Für unsere Haltung hat er wenig Verständnis. Er spricht über das Downsyndrom, das er offenbar für besonders schwerwiegend hält. Mit 35 Jahren bestehe ein erhöhtes Risiko, ein Kind mit diesem Syndrom zu gebären, sagt er, aber er nennt keine Zahlen. Er erwähnt nicht, dass selbst bei einer Frau Anfang vierzig - so die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung - die Wahrscheinlichkeit, ein Kind ohne Downsyndrom zu bekommen, bei 99,2 Prozent liegt.
    Er sagt nicht, dass der weibliche Körper trotz allem perfekt für Geburt und Schwangerschaft ausgestattet ist. Er erwähnt nicht, dass etwa 95,5 Prozent aller Kinder völlig gesund auf die Welt kommen. Er gibt eigentlich nichts von sich, was uns irgendwie in unserer Situation beruhigen könnte. Aber wie war das noch? Sind Ruhe und Entspannung nicht das, was Schwangere wirklich brauchen?
    Ich denke an den Mutterpass und an die Risiken und Gefahren, vor denen ich gewarnt werde. An das Verhalten meines Arztes hatte ich bisher gar nicht gedacht.
    Â»Beraten Sie sich mit Ihrem Arzt und befolgen sie seine Ratschläge!«
    Â 
    Na, vielen Dank.
    Ich unterstelle diesem Arzt nichts Böses. Er meint es wahrscheinlich nur gut. Aber er ist subjektiv, wie wir alle. Er hat nur eine eigene Meinung. Warum soll ich dann auf ihn hören?

    Es geht nicht darum, dass es pränatale Diagnostik gibt und hilfreich sein kann. Es geht nicht um die Diskussion des Abtreibungsrechtes. Es geht darum, dass wir unter extremen Druck gesetzt werden, pränatale Tests durchführen zu lassen, und dass Schwangerschaft unter pränataler Diagnostik nicht nur extremen Druck für werdende Eltern bedeutet, sondern vor allem auch für das werdende Kind. Denn es geht um nichts anderes und nichts weniger als um seine Existenzberechtigung. Hoch technisierte pränatale Diagnostik ermöglicht die vorgeburtliche Auswahl der Kinder. In der - wenn auch unbeabsichtigten - Folge gelten Behinderte als Menschen zweiter Wahl. Eltern werden für ihre Entscheidung verantwortlich gemacht. Es ist in diesem Zusammenhang ein bitteres Signal, dass in Deutschland behinderte Ungeborene bis zum Ende der Schwangerschaft ohne Beratungsnachweis abgetrieben werden dürfen, während es bei sozialen Gründen für den Abbruch einer Schwangerschaft eines Beratungsscheins bedarf. Es ist eine unumstößliche Tatsache: Es werden immer weniger behinderte Kinder geboren. Und während früher von Freunden und Bekannten gefragt wurde: »Musstest du denn wirklich abtreiben?«, heißt es heute: »Warum hast du denn nicht abgetrieben?«
    Es wundert mich nach meiner Betreuung durch den Arzt nicht, dass der Bundesverband für Körper- und Mehrfachbehinderte auf seiner Homepage bilanziert:
    Â 
    Â»Die Unsicherheiten schwangerer Frauen beziehen sich bei genauer Betrachtung vor allem auf soziale Ängste: Auf wen kann ich mich verlassen, auch wenn mal nicht alles gut geht?«
    Â 
    In den folgenden Wochen und Monaten

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