Myrddin
Horizont. Nebel, der in dem Coed Celyddon gehangen hatte, griff mit langfingrigen Tentakeln durch die hohle Schlucht zur Grotte des Hart Fell.
Wollte Myrddin nicht mehr Zeit gehabt haben? Hatte er sich an sein Leben und die Fortdauer der Jahre gewöhnt? Es wurde ihm leichter und er hatte sich nichts vorzuwerfen. Es sollte ihm nicht mehr vergönnt sein, der Gärtner auf Erden zu sein und Asche auf die öden Lichtungen zu streuen, die offene Wunden in dem Land gelassen hatten, das seinen Glauben hätte besitzen sollen. Es war nicht mehr an ihm, die Zeit zu entschlüsseln und ihre Figuren zu entstauben. Sein Werk war getan, und sein Weg war der eines Menschen, der plötzlich sein Alter erkennen durfte, auf sein Leben zurückblicken konnte und dem seine letzte Fahrt bevorstehen sollte.
Myrddin fühlte sich besser als in Norwegen und der Abschied vom Hart Fell war kein Abschied, da er und seine Freunde nicht willkommen geheißen worden waren. Er war gekommen und wollte wieder gehen. Der Hart Fell barg seine letzte Begegnung mit den Gwyllons und hatte seine Stimme nicht vernommen. Gerne hätte Myrddin die Lerche kennengelernt, die er bei seinem Kommen singen hörte – doch sie hatte sich bereits aufgemacht. Seine Quelle schien auf ihn gewartet zu haben, nur damit auch sie versiegen konnte – und was Wasser für Leben erwecken konnte, spürte man erst, da es nicht mehr lebendig plätscherte und sich nicht mehr über die Felsen schwellen ließ. Und die Schlucht unter ihnen glich ihrer einstigen Armut in der baren Dunkelheit, die weder Gestirne in sich zu tragen wußte noch Nester von Schatten besaß, die zuweilen aus sich herauswachsen konnten und Fledermäuse fingen. Myrddin kannte die Aufforderung seines Nebels, den er als Poncho auf seinen Schultern trug, und er spürte die Unruhe in seinen Gefährten. Caspar hatte er nicht wieder gesehen, und es tat ihm leid, was vorgefallen war. Er hoffte, daß der Vanyar sobald als möglich kommen würde und sie den Vorfall vergessen könnten, falls er sich nur entscheiden könnte, mit ihnen und den anderen Vanyar sein zu wollen. Und Myrddin wollte nichts unversucht lassen, damit die Eintracht unter den Vanyar wiederhergestellt würde.
Die Blondelfen saßen vor der Grotte, Hörn lag mit den Wölfen vor der Hohlgasse, die aus dem Wald zu ihrer Anhöhe führte – und sie alle warteten auf Myrddin, der sich seinen Fellanorak überstreifte, die Beutel mit den verbliebenen Nahrungsmitteln nahm, sie zuschnürte und Hörn zu sich rief. Er legte ihm die beiden Beutel über den Rücken und meinte, daß er den Strick, mit dem sie gebunden wären, später für Akita und Pacis nehmen werde. Dann lachte er seine Tiere an, rief zu den Vanyar hinüber, die zu ihm herabschwirrten, gab Hörn den Wurzelstock, den er nicht verschlucken durfte, und meinte:
„Geht ihr schon und gebt mir noch einen Augenblick meines verbleibenden Lebens. Wartet unten auf mich. Ich werde gleich zu euch kommen.“
Akita und Pacis sprangen auf, liefen zu ihm und ließen sich einmal kraulen. Die Vanyar schwirrten schon in den Coed Celyddon hinab, und Hörn trabte dann den davonspringenden Wölfen hinterher, den Steilweg hinunter in den Nebelwald, in dem er sich Leben und Tiere erhofft hatte, die es in ihm nicht mehr gab.
Myrddin stand vor seiner Grotte, hatte seinen Eschenstab in der Hand, an dem nur noch ein Lederbeutel hing, und folgte dem Licht des Steins des Alnilam. Er stand an einem Wasserbecken, das nur noch ein versintertes Gestein war, in dem ein letzter Rest Wasser glitzerte.
„O du mein Wasser … mein Quell … o du Avalonis. Meine Zeit hat sich erschöpft und rinnt in euch – wie ich von euch genommen habe. Mein Wandern wandelt sich und kennt kein Ziel … und ich stehe bei euch, nehme die Himmel und tauche sie dankbar in meine Brust …“ Myrddin kniete sich zu dem Wasser nieder und sah den Kranz der aufsteigenden Nacht, schöpfte mit seiner Hand und trank das Wasser, das in seiner Hand verblieb, da das meiste darüber hinwegrann.
„Und du, mein Gesicht … Ich habe dich besessen und nehme dich mit mir. Du wirst deine lachende Seite zeigen und uns den Kummer der Welt vergessen lassen. Deine Ringen werden zu Zweigen meiner Unendlichkeit … und dein Laub zieht mit den Wolken der letzten Nebel. Wir gehen zusammen und doch wirst du mich verlassen. So gehe du und bleibe. Wir haben einander und hatten uns nicht. Wir stehen hier zusammen und werden niemals wieder sein. Komm und folge mir …“, sagte
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