Der gefährliche Traum (German Edition)
Veränderungen
W ir sind da, Schatz!«, rief Max’ Vater aufgeregt seiner Frau zu, die neben ihm saß. Sie war in die Landkarte vertieft und hatte gar nicht bemerkt, wie nah sie ihrem Ziel schon gekommen waren. Er bremste das Auto ab und blieb mitten auf der Straße stehen. Max’ Mutter öffnete sofort die Beifahrertür und sprang begeistert aus dem Wagen.
»Liebling, sieh nur! Ist es nicht großartig?« Mit
Liebling
meinte sie ihren Sohn Max, der auf der Rückbank des Autos saß und sich betont gleichgültig gab. Um dies zu unterstreichen, starrte er noch eindringlicher auf den Bildschirm seines Tablets, ein Bestechungsversuch seiner Eltern.
»Ich möchte auf der Stelle meine beiden Männer neben mir haben und gemeinsam den Anblick genießen«, rief sie und stellte sich direkt vor das Auto. Um sie herum flirrte die Julihitze und ließ glitzernde Pfützen auf dem heißen Asphalt erscheinen, obwohl es keinen Tropfen Wasser weit und breit gab.
Max rührte sich nicht vom Fleck, auch wenn er vor Neugierde fast umkam. Aber zugeben würde er es niemals. Schließlich wollte er seine Eltern nicht so schnell vergessen lassen, dass er mit ihrer Entscheidung nicht einverstanden gewesen war, Tablet hin oder her. Keine zehn Pferde würden Max aus dem klimatisierten Auto bringen.
Sein Vater war bereits dem Ruf seiner Frau gefolgt und stand nun neben ihr. Sie umarmten sich und starrten gemeinsam auf das Ergebnis ihres Glücks. Max steckte sich den Finger in den Mund und tat so, als würde er sich übergeben.
Max’ Mutter ignorierte das rüpelhafte Benehmen ihres Sohnes. »Nun komm schon! Von da drinnen kannst du es doch gar nicht sehen.«
Sein Vater scherzte jetzt sogar, so gut gelaunt hatte ihn der Anblick gemacht. »Du weißt doch, was dein grüner Freund Yoda sagen würde?
Aussteigen du musst. Genug Macht du hast
.« Er lachte über den gelungenen Witz.
Max aber fand ihn nicht lustig. Sicher war er in der Grundschule ein großer Star-Wars-Fan gewesen, aber jetzt? Mein Gott! Er war in der sechsten Klasse. Und warum musste seine Mutter so übertrieben begeistert sein? Das war sie doch nur, um ihr schlechtes Gewissen zu beruhigen, weil sie ihn aus Hamburg weggezerrt hatte. Jetzt tat sie so, als wäre das hier der Hauptgewinn. In solchen Situationen wünschte sich Max Geschwister, Verbündete im gemeinsamen Kampf gegen die Eltern. Stattdessen musste er alle Schlachten alleine austragen. Chancen hatte er nur, wenn sich seine Eltern nicht einig waren. Aber das war heute eindeutig nicht der Fall. Deshalb, und weil er auch ein wenig neugierig war, ergab sich Max seinem Schicksal und stieg aus, wenn auch betont langsam. Ungeduldig griff seine Mutter nach seinem Arm und zog Max zu sich.
Jetzt standen sie zu dritt mitten auf der Straße und schauten auf das, was ab heute ihr Zuhause sein sollte. Ein in die Jahre, oder besser gesagt, in die Jahrhunderte gekommenes Schloss!
Noch in Hamburg, seinem eigentlichen Zuhause, hatten ihn seine Freunde damit aufgezogen und ihn andauernd
Prinzchen
genannt. In Wirklichkeit aber wollten sie genauso wenig wie Max, dass er ging. Der Abschied war allen schwergefallen. Nun fühlte sich Max einsam. Er kannte doch niemanden in diesem trostlosen Ort namens Hohenstein. Und was hätte es ihm auch gebracht? Seine neue Lebenswirklichkeit war noch viel schlimmer. In einem Kaff gab es wenigstens andere Jungen in seinem Alter. Schloss Hohenstein aber lag abgesondert von jeglicher menschlichen Ansiedlung, umgeben von Wiesen und Wäldern.
»Liegt Schloss Hohenstein nicht romantisch?«, seufzte seine Mutter.
»Auf jeden Fall einsam«, knurrte Max und sah sich um. Hinter ihnen erhob sich der undurchdringliche Spessartwald mit seinen alten Eichen, Buchen und Fichten. Vor ihnen führte eine schmale Straße bergauf an grünen Wiesen vorbei direkt auf das Schloss zu. Die Sonne ließ das Orangerot der Mauern fröhlich leuchten. Das Schloss schien sie tatsächlich willkommen zu heißen. Es wirkte weder abweisend noch trutzig. Kein Schauer jagte über Max’ Rücken, so wie er es sich in seiner Fantasie vorgestellt hatte. Kein Schlossgespenst schien mit rostigen Ketten zu rasseln. Es war kein verfluchter Ort. Im Gegenteil, alles sah lieblich und heiter aus.
»Willkommen daheim!«, rief seine Mutter überschwänglich. »Lasst uns ganz schnell einsteigen und weiterfahren. Ich kann es gar nicht erwarten, das Schloss von innen zu sehen.«
»Wir wohnen doch gar nicht im Schloss«, versuchte Max der
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