Myrddin
achtundfünfzig Artisten und fünf Hilfskräfte für die täglichen Arbeiten umfaßt hatte, gerade noch sieben Lebenskünstler übriggeblieben, von denen keiner herausragende Kunststücke beherrschte – mit Ausnahme des Clowns. Jedenfalls konnte sie keine Attraktionen mehr verkaufen. So war Shenanns Wanderzirkus untergegangen, und die Banken hatten die Frechheit besessen, von einer nötigen Gesundschrumpfung zu sprechen, die sie nicht einmal mehr die Tierarztrechnungen bezahlen lassen konnte.
Die beiden Lowell-Brüder wollte diese Saison noch mit dem Shenann-Zirkus auftreten, doch falls sich keine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage des Zirkus ergeben sollte, wollten sie ihr Glück woanders suchen. Jacqueline Eaves, das jüngste Talent in ihrem Team, sollte sie dann begleiten. Sie hatten sie irgendwo auf der Straße aufgegriffen und als Seiltänzerin angelernt, was sie zumindest einigermaßen beherrschte. Sie konnte sich bereits über ein hängendes Tiefseil zittern, von dem sie nur jedes dritte Mal herabfiel.
Neben Eaves, den Lowells und Shenann, der sich nur als Master ansprechen ließ, gab es Robin Bourke, einen Transvestiten, der sich MERLINA nannte und weniger in einen Zirkus denn auf einen Rummelplatz gehörte. Sein Geld verdiente er durch abgegriffene Tarotkarten, Blicke in die persönlichen Schicksale der Menschen durch Kristallkugeln und durch das Erstellen von Horoskopen, die einer sehr privaten Betrachtung des Sternenhimmels und der Astrologie untergeordnet waren, da ihm nicht nur die astrologische Stellung des Mondes nicht bekannt war.
Maynard Ganapathy war der einzige echte Künstler, den der Wanderzirkus noch besaß. Er war der Clown des Unternehmens, hatte eine Ausbildung an der Moskauer Artistenschule erfolgreich absolviert und war in den guten Zeiten des Shenann Wanderzirkus von einem staatlichen Zirkus abgeworben worden. Ganapathy war heute jedoch ein alter Mann, hatte seinen ersten Schlaganfall hinter sich, sollte sein Alter in der Sozialstation einer Artistengilde verbringen, hatte jedoch sein gesamtes Geld in den Wanderzirkus gesteckt und sah ihn mit recht als seinen Zirkus an, auch wenn er formal-juristisch nur als gleichberechtigter Miteigentümer des Unternehmens aufgeführt war. Er gab noch rührende Vorstellungen als der Clown Ganymed – wahrscheinlich in Anlehnung seines bürgerlichen Namens – und konnte manchmal das magere Publikum begeistern, das wohl vornehmlich auch seinetwegen die schlechten Vorstellungen besuchte.
Torrence Kippenhahn, ein stattlicher Mann, hatte sich auf die Dressur von Königstauben, Ponys und Ziegen spezialisiert. Die fünf Ponys brachten gleichzeitig als Reitpferde zwischen den Vorstellungen etwas Geld ein. Dann gab es drei Schimpansen, einen verängstigten Puma und einen bengalischen Tiger, der in dem Zirkus von Ganapathy sein Altenteil fristen durfte. Kippenhahn war ein launischer, unberechenbarer Mensch, der einen miserablen Dompteur abgab. Dem Puma konnte man die Angst in den Augen ansehen, die ihm bei seiner angeblichen Ausbildung eingepeitscht worden war. Und Kippenhahns Tauben vermochten gerade einmal auf seinen Armen und Schultern zu landen, nachdem sie einige Kreise unter der tiefen Zirkuskuppel geflogen waren – da ihre Natur sie noch fliegen ließ und sie irgendwann einmal wieder herunterkommen mußten.
Der letzte der Truppe war Alexander Mladinska Raimann, ein Deutscher mit slowenischer Abstammung, der sich trotz seines wohlklingenden Namens nur als Mechaniker verdient machte. Er hatte sich als Feuerspucker vorgestellt und sein herrlicher Name hatte Großes erahnen lassen, doch von einem Feuerspucker blieb in artistischer Hinsicht nichts als ein Streichholz übrig, das er ausblasen konnte – und in gleicher Weise zerbröckelte sein Name zu einem einfachen Alex, wie sie ihn riefen. Er war mittleren Alters, ein ruhiger, zuverlässiger Mechaniker, der sich schon freute, wenn er Eaves oder den Lowells bei ihren Vorführungen assistieren durfte.
Es hatte noch einen Herb Rhine gegeben, der das Mädchen für alles gewesen war, ein Blitzableiter für Shenann, wenn es mit den Freundinnen einmal nicht so richtig lief, der die Tiere versorgte und sich um die alltäglichen Nöte der Artisten gekümmert hatte. Aber Rhine war im Vorjahr an Leukämie gestorben und hatte einen weißen Fleck auf den Ankündigungen des Shenann-Wanderzirkus hinterlassen.
An diesem Morgen ging Eaves wie immer als erstes zu den Ponys, die angepflockt in der frischen
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