Myrddin
sollte er seine Aufgaben nicht erfüllen. Die Drohung hatte gefruchtet, da Kippenhahn nun mit einem Lächeln und zusammengebissenen Zähnen die Ponys durch die Manege scheuchte, so daß sich die Zuschauer wenigstens seines Gebisses erfreuen konnten.
Trotz des Regens kamen Menschen. Sie kamen, um den Zirkus zu bestaunen, die ungewöhnliche Tierbestückung zu betrachten, da es einen Hirsch gab, der scheinbar noch nicht mit ins Programm aufgenommen war, und um vielleicht den Großmeister aller Clowns heimlich irgendwo zu entdecken – vielleicht sogar ein Wort mit ihm wechseln zu können. Aber zur großen Enttäuschung aller wurde er gut vom Ensemble abgeschirmt. Umso größere Spannung lag in der Erwartung des Sonntags, an dem er auftreten sollte.
Raimann war Myrddin gegenüber verunsichert. Er hatte Angst vor der Veränderung in seinem Leben und sah die Wölfe Myrddins mit anderen Augen, seitdem er sein Versprechen gegeben hatte, da sie irgendwann zum Gegenstand seiner Verantwortung werden sollten.
Die junge Brian hatte gesagt, daß sie für den finanziellen Aufwand geradestehen würde, sobald er sich auf den Weg nach Schweden machte, um Myrddin das gegebene Versprechen einzulösen. So schien ihm die eine Sorge genommen. Aber wußte er, ob er dieses Mädchen überhaupt noch einmal wiedersehen sollte? Außerdem schlug ihm das naßkalte Regenwetter auf das Gemüt und verdarb ihm seine Stimmung. Den ganzen Tag mußte er auf dem sumpfigen Boden herumlaufen, da sich die anderen in ihrem Ruhm ergingen und das fade Essen, das man ihm neuerdings vorsetzte, da sich Eaves mehr um ihre künstlerische Entwicklung kümmern wollte, konnte keinem Arbeiter gefallen, der den ganzen Tag zu tun hatte.
An allen drei Spieltagen kamen Menschen zu den Veranstaltungen, die vorsichtiger zu urteilen begannen als das Publikum in Bolton und Huddersfield. Die Zuschauer waren dankbarer, wollten sie ihren ersehnten Clown doch nicht enttäuschen, der das Herz dieses Wanderzirkus sein sollte. So applaudierten sie mühsam verhalten, doch anständig, unterhielten sich in den Pausen über das schlechte Wetter und den unerwarteten Regen und ließen die tristen Artisten als Vorspann für den großen Clown gewähren.
Am Sonntagabend jedoch erreichte die Spannung ihren Höhepunkt. Es regnete stärker, als man es sich hätte wünschen können. Dennoch strömten die Menschen in Scharen auf die Spielwiese und der Übertragungswagen eines privaten Senders fuhr sich im Schlamm fest. Der Festplatz und die zuführenden Straßen zu der Spielwiese reichten für die parkenden Autos nicht aus. Menschen unter Regenschirmen sprangen über Pfützen, traten mit feinen Schuhen in den Matsch, und auch das Zelt reichte mit seinen Sitzplätzen bei weitem nicht aus, um allen Zuschauern einen Platz anbieten zu können. Sie hätten die Manege zweimal füllen können, so viele Karten waren von Shenann offenbar verkauft worden. Die Menschen preßten sich mit ihrer kostbaren Abendgarderobe in die Tribünenränge, Shenann bat unermüdlich über Mikrophon um Contenance , was aus seinem Mund wie Schadenfreude klang, und die Menschen drängelten, drückten, schoben und quetschten sich, so gut sie konnten. Frauen mit spitzhackigen Schuhen verschafften sich ihren Vortritt, indem sie anderen schmerzhaft auf die Füße traten und dann bedauernd lächelnd nickten, obwohl es ihnen eine Befriedigung gewesen war. Männer genossen die unerwartet enge Nähe zu fremden Frauenkörpern, die an sie gedrückt wurden, und überall herrschte das hilflose Durcheinander kneifender, fummelnder und sich wehrender Geister einer Gesellschaft von zernervten Charakteren.
Unter den Zuschauern waren auch Tralee und Brian. Sie kamen allerdings schon früher, so daß Raimann ihnen ohne Karten Einlaß gewähren konnte. Brian war vor der Aufführung aufgestanden und hatte Myrddin gesucht. Als sie ihn draußen vor dem Zelt fand, sagte sie, daß sie Tralee erzählt habe, sie würde nach der Vorstellung mit den Artisten mitfahren, um sich dann mit ihr in London zu treffen. Tralee sei damit einverstanden gewesen.
Dann war Brian zurückgelaufen und Myrddin in den Wohnwagen von Ganapathy gestiegen. Zum ersten Mal schminkte er sich die Maske von Ganymed selbst, setzte allerdings einen Strich unter seinem rechten Auge etwas schräg, sah nach dem Clown, sprach mit den Wölfen und gab den Vanyar ihre Graumäntel zurück. Er wartete in dem Wohnwagen, bis sich das unruhige Publikum unter der Zeltplane eingefunden hatte,
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