Mythica 07 - Goettin der Legenden
gemacht dafür, was wirkliches
Sehen
in ihr auslösen konnte.
Natürlich war sie schon des Öfteren in Kriegsgebieten gewesen – Bosnien, die Falklandinseln, Südafrika –, das hatte sie alles schon vor der Linse gehabt. Aber Afghanistan war anders gewesen.
Ich war anders. Ich habe die Perspektive verloren, Dunkelheit und Chaos haben sich eingeschlichen
, gestand Isabel sich ein, während sie die Position des Stativs veränderte und wieder in rascher Abfolge den Auslöser betätigte, um ein junges Bisonkalb abzulichten, das um seine grasende Mutter herumsprang.
Angefangen hatte es mit dem Soldaten, mit Curtis Johnson. Er hatte freundliche braune Augen in einem Gesicht, das jung und attraktiv war. Er war bestimmt nicht älter als fünfundzwanzig Jahre gewesen und hatte frech mit ihr geflirtet, als er sie zu dem Jeep begleitete, der sie mitnehmen sollte – in der Mitte des Nachschubkonvois, der auf der holperigen Straße von der US -Luftwaffenbasis zu dem kleinen, nur wenige Meilen entfernten Einheimischendorf fuhr.
Genau genommen war Curtis so interessant gewesen, dass Isabel mit der Idee gespielt hatte, ihre eigenen Regeln zu übertreten und sich eine kleine Affäre zu gönnen, obwohl sie im Einsatz war. Sie hatte die Jahre gezählt, die zwischen ihren Affären lagen, war aber zu dem Schluss gekommen: Ach, was soll’s, wenn es diesen attraktiven jungen Curtis nicht kümmerte, dass sie zehn Jahre älter war, warum, zum Teufel, sollte sie sich dann deswegen Sorgen machen?
Und dann war die Bombe am Straßenrand detoniert. Isabel hatte sofort auf Fotografen-Autopilot umgeschaltet und inmitten von Rauch und Feuer, Dunkelheit und Horror ein paar der ergreifendsten Bilder ihrer Karriere geschossen – unter anderem von Curtis Johnson, dessen rechtes Bein und rechter Arm einfach abgerissen worden waren. Sie hatte sich nicht vorgenommen, solche Bilder zu machen, es war ihr nicht mal klar gewesen, dass er von der Explosion erfasst worden war, sie hatte instinktiv das getan, worum es ihr immer ging – die Wahrheit eingefangen. Und dann explodierte die Wahrheit ihr ins Gesicht, und sie wäre fast daran zugrunde gegangen.
Curtis’ Augen hatten immer noch freundlich geblickt, bis sie im Schock glasig wurden. Bevor er das Bewusstsein verlor, hatte er sich sogar noch Sorgen um Isabel gemacht – hatte sie gewarnt, sie solle sich ducken … Deckung suchen … Aber dann war sein Blut in den rissigen Wüstenboden gesickert, und er war in ihren Armen gestorben. Um sie herum brach die Hölle los, und das Einzige, woran sie sich danach noch erinnerte, war, dass sie schrie und ihre Kamera zu retten versuchte. Sie musste die Bilder von Curtis sichern. Für seine Familie. Für sich selbst.
Isabel erschauderte. Auf einmal merkte sie, dass sie aufgehört hatte zu fotografieren und reglos neben ihrem Stativ stand. Langsam hob sie die Hand an ihr Gesicht. Ihre Wangen waren nass.
»Bleib bei dem, was du tust!«, ermahnte sie sich. »Das ist deine Chance, deine Mitte wiederzufinden – deine Normalität.«
Und die Trauer zu überwinden
.
Sie vollzog genau das Aufmunterungsritual, das ihr Vater ihr beigebracht hatte – wischte sich die Tränen weg, schüttelte die Erinnerungen ab und konzentrierte sich auf ihre Arbeit.
Kopfschüttelnd kehrte sie zu ihrer Kamera zurück, aber ihr Lächeln fühlte sich unecht an. Ihre Clique bester Freundinnen würde einhellig die Meinung vertreten, dass der Standard von Isabel Cantelli sich deutlich vom Standard der meisten anderen Menschen unterschied. Sie konnte die Kommentare beinahe hören. Meredith würde mit den Schultern zucken und sagen, dass der Isabel-Maßstab ja offensichtlich für sie funktionierte, sonst wäre sie nicht so erfolgreich geworden. Robin würde den Kopf schütteln und sagen, dass Isabel unbedingt einen Vollzeitmann finden musste, nicht bloß eine Reihe attraktiver Liebhaber. Kim würde Isabels Psyche analysieren und schließlich mit Robin übereinstimmen, dass etwas mehr Permanenz in ihrem Leben ihr helfen würde, sich besser zu erden. Und Teresa würde einwerfen, dass Isabel unbedingt dem nachgehen sollte, was sie glücklich machte.
Bis vor einem Monat und der Reise nach Afghanistan hätte Isabel gelacht, die Augen verdreht, sich noch ein Glas Sekt eingeschenkt und geantwortet, dass ihr Nomadenleben ohne Männer genau das war, was sie glücklich machte.
Dann aber war die Sache mit Curtis Johnson passiert, die Isabels Weltsicht aus den Angeln gehoben hatte, und aus dieser
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