Mythica Bd. 5 - Göttin der Rosen
und der Wächter hatte wohl irgendwelchen Mist gebaut, und deshalb war er als Statue in Tulsa gelandet.
Aber was genau hatte er wohl getan? Was auch immer es gewesen war, er würde es bestimmt nicht noch einmal tun. Mikki seufzte. Es war wirklich überwältigend, wie viele Geheimnisse und unbeantwortete Fragen ihr neues Leben mit sich brachte. Aber sie durfte sich davon nicht unterkriegen lassen. Sie schüttelte den Kopf und trank den letzten Schluck Tee. Sie würde die ganze Sache in Ruhe beginnen und den Dingen nach und nach auf den Grund gehen. Sie musste das alles einfach als Teil ihres neuen Jobs sehen. Zwar würde es wahrscheinlich schwierig werden, all die neuen … Prozeduren zu lernen. Aber nicht unmöglich.
Und der Wächter? Wenn sie überhaupt an ihn dachte, musste sie einfach an ihn denken wie an jeden anderen Sicherheitsbediensteten. Für einen Moment erschien das Bild des Nachtwächters in den Tulsa Municipal Rose Gardens, Mel, vor ihrem inneren Auge. Er war klein und rundlich und sehr grau. Tatsächlich erinnerte er sie an einen kahl werdenden Weihnachtsmann. Mel und die atemberaubende Kreatur, die Mikki aus ihrem steinernen Käfig befreit hatte, hätten kaum unterschiedlicher sein können. Der Vergleich war so absurd, dass sie grinsen musste. Der Wächter und Mel? Sie war wirklich verrückt geworden, wenn sie anfing, an den beiden Ähnlichkeiten zu entdecken.
Mikki kaute nervös auf ihrer Unterlippe. Sie hatte keine Ahnung, wie sie mit dem Wächter umgehen sollte. Oder mit den Rosen. Oder mit der Magie …
Bevor der Gedanke an ihre Pflichten als Empousa sie überwältigen konnte – schon wieder –, stand sie auf, streckte sich vorsichtig und versuchte, die Steifheit aus ihren Schultermuskeln zu massieren. Dann ging sie langsam zurück in ihr Schlafzimmer. Ablenkung. Sie brauchte Ablenkung, und was eignete sich dazu besser, als sich an die Arbeit zu machen? Das würde ihr helfen, ihre Muskeln zu entspannen und ihr Gehirn davon abzuhalten, sich zwanghaft mit Hörnern und Hufen zu beschäftigen. Und sie wollte auch endlich nach den Rosen sehen. Ihren Rosen. Hekate hatte gesagt, dass es ihre Aufgabe war, sich um sie zu kümmern, ihr Schicksal. Sie war nicht länger nur eine von vielen Volontären, die davon träumte, dass die Gärten irgendwann ihr gehören würden.
Erwartungsvoll sah sie sich in ihrem Zimmer um. Hekate hatte gesagt, dass sie die Dienerinnen rufen sollte, damit sie ihr beim Anziehen halfen. Hieß das, dass es in ihrem Zimmer irgendeine Art Klingel-System gab? So hatte man in früheren Zeiten doch seine Diener gerufen, oder nicht? Aber das hier war keine Szene aus einem alten englischen Film; das hier war das Reich von Mythen und Magie, und darauf hatten ihre persönlichen Lebenserfahrungen sie nun wirklich nicht vorbereitet.
»Vielleicht sollte ich versuchen, eine Briefeule zu rufen. Da ich ja schon in Hogwarts gelandet bin«, murrte sie vor sich hin. »Okay, das ist lächerlich.« Mikki stemmte die Hände in die Hüften. »So schwer kann es doch nicht sein. Hekate hat gesagt, ich soll die Elementare rufen. Also rufe ich sie einfach.« Eigentlich wollte sie nur Gii rufen. Zu ihr fühlte sie die stärkste Verbundenheit, und, offen gestanden, hatte sie im Moment keinen Nerv, sich mit allen vier Dienerinnen gleichzeitig abzugeben. Sie räusperte sich. »Gii?«, rief sie zögerlich und dann ein bisschen lauter: »Gii, könntest du bitte herkommen? Ich brauche deine Hilfe.«
Nichts. Nada. Rien. Die Dienerin tauchte nicht plötzlich auf. Kein Trippeln von kleinen Füßen war aus der Richtung des Balkons zu hören.
»Okay, das muss irgendwie anders gehen.« Mikki lief rastlos im Zimmer auf und ab, während sie nachdachte. Sie sollte die Dienerinnen zu sich rufen … abrupt blieb sie stehen. Die Dienerinnen waren die Verkörperungen ihrer Elemente. Letzte Nacht hatte sie jedes der Elemente in ihren Kreis gerufen. Vielleicht konnte sie jetzt so etwas Ähnliches machen. Sie schloss die Augen und dachte an Gii … das Element Erde. Letzte Nacht war das Erscheinen des Elements von bestimmten Gerüchen begleitet gewesen, die sie an die Fruchtbarkeit von Erde und Ernte erinnerten … an den süßen Duft von frisch gemähtem Gras … an reife Früchte und Beeren. Mikki konnte das üppige Aroma der grünen, lebendigen Erde fast schmecken.
»Gii«, sagte sie leise, »komm zu mir.«
Fast sofort erklang ein Klopfen an der Wand auf der anderen Seite ihres Zimmers. Mikki öffnete die Augen gerade
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