Mythor - 055 - Luftgeister greifen an
geglaubt hatte, war er nicht mehr, und mehr durch Zufall hatte sie seine Spur hier auf der Inselgruppe der Blutigen Zähne wiedergefunden. Eine Meduse hatte dabei den Ballon beschädigt, und der Zugvogel hatte notlanden müssen.
Jetzt aber waren die Schäden wieder behoben, der Zugvogel wieder flugtüchtig.
Immer wieder sah Vina nach unten, um unter den Nebelbänken, Spuren der Gesuchten zu entdecken. Dabei hatte sie ihr äußerstes fliegerisches Geschick aufzubieten, tieferreichenden Nebeln auszuweichen, weil sie nicht beliebig oft die Flughöhe verändern konnte. Die Höhe wurde durch Ablassen von Ballongas oder Abwerfen von Ballast geregelt, und irgendwann war hier eine Grenze erreicht, die zur Landung und Neuauffüllung zwang. Zwar gab es überall auf den zahlreichen Inseln Gasquellen, aber wenn es sich eben vermeiden ließ, wollte Vina den Strapazen des Auffüllens aus dem Weg gehen.
Plötzlich zuckte sie zusammen.
Sie hatte Schatten gesehen, undeutlich unter einer Nebelschicht zu erkennen!
Über ein Zugseil öffnete sie ein Ventil. Gas entwich, und der Ballon sank tiefer. Das Luftschiff durchstieß die tiefste Nebelschicht.
Vina sah, wie aus den beiden Nebelschatten Menschen wurden. Eine Frau und ein Mann! Das konnten nur Honga und seine Begleiterin sein, weil es andere Menschen auf den Blutigen Zähnen zur Zeit nicht gab.
Tiefergehen! gab sie sich selbst den Befehl. Wie ein Stein sackte der Zugvogel jetzt nach unten und wurde drei Mannslängen über dem Boden wieder abgefangen. Auf der Ebene gab es keine Bäume, die den Flug abrupt stoppen konnten.
Da liefen sie, die zwei! Deutlich konnte Vina sie jetzt erkennen. Ein junger dunkelhaariger Mann in gefleckter Fellkleidung und ein Mädchen in Hosenrock und einer kleinen Weste, und beide warfen dem Zugvogel immer wieder in panischer Angst Blicke zu, um dann noch schneller zu laufen!
Und der Zugvogel wurde noch langsamer, weil hier dicht über dem Boden der Wind nicht mehr stark genug war!
Im gleichen Moment spürte Vina auch die Magie.
Ein magisches Feld breitete sich vor den Flüchtenden aus, und sie liefen genau hinein! Sie mußten sich bereits in den äußeren Ausläufern dieser gefährlichen Zone befinden und gerieten mit jedem ihrer schnellen Schritte tiefer hinein!
Vina stieß die Tür der Luftschiff-Gondel auf. Mit einem Griff löste sie die Strickleiter, ließ sie hinunterfallen, daß sie den Boden berührte und mitgeschleift wurde, machte zwei Kletterschritte auf der Leiter nach unten und hielt sich dabei am Knotenrahmen der Gondeltür fest.
»Honga… nicht weiterlaufen! Bleib stehen! Ihr lauft in eine magische Zone…«
Beide schienen die Hexe nicht zu hören, sondern liefen jetzt noch schneller als zuvor. Noch langsamer war aber der Zugvogel geworden. Mit ihm konnte sie die beiden nicht mehr einholen.
Warum flohen sie?
Vina turnte in die Gondel zurück und ließ noch mehr Gas ab. Der Zugvogel setzte auf. Die Flügelstellung veränderte sich, daß der Wind nicht mehr greifen konnte. Wieder sprang Vina hinaus und begann hinter den beiden Flüchtenden her zu laufen, die bereits weit in der magischen Zone steckten.
Sie spürte die Einflüsterungen schon!
So kam sie nicht weiter. Zu Fuß konnte sie sie ebenfalls nicht mehr einholen. Auftauchende Büsche und Bäume verbargen die Gesuchten bereits in der Ferne. Das Landemanöver hatte zu viel Zeit gekostet.
Langsam kehrte Vina zur Gondel zurück. Der Ballon ruckte leicht im schwachen Wind, aber die auf dem Boden liegende Gondel hielt ihn einigermaßen fest.
Sie mußte wieder aufsteigen und versuchen, aus größerer Höhe wieder aufzuholen. Warum waren die beiden vor ihr geflohen? Warum hatten sie Angst?
Vina begann die Strickleiter aufzurollen und hakte sie dann im Innern der Gondel wieder ein. Als sie gerade die Tür schließen wollte, sah sie in der Ferne eine wohlbekannte Gestalt heranwatscheln.
Gerrek!
*
»Nein«, sagte Gerrek mürrisch. »Nicht noch einmal!« Seine krallenbewehrte Hand faßte vorsichtig nach seinem Drachenkopfe. »Ein solcher Zwischenfall genügt mir. Ich bin froh, daß ich überhaupt mit dem Leben davongekommen bin. Wie leicht hätte mich dieser Windmühlenflügel hochschaufeln und weit hinaus ins Meer schleudern können!«
Vina schmunzelte. »Bück dich mal ein wenig, Gerrek«, verlangte sie.
Erstaunt den Schnurrbart kräuselnd, bequemte sich der Beuteldrache zu der »herablassenden« Stellung. Vina tippte mit dem Zeigefinger an seine Stirn.
»Du
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