Mythor - 084 - Stadt der Amazonen
Bewegung. Es wurde Zeit. Wieviel Zeit mochte verstrichen sein, während sie den Traumpalast durchkämmten? Reichte die Zeit anderen, den Palast zu umstellen oder gar einzudringen?
Es wurde ein Wettlauf mit der Zeit - und mit dem Tod!
Aber der hatte Amazonen noch nie geschreckt…!
9.
Gorma deutete mit beiden Händen einen Abstand von etwa zwei Handspannen an. »Um diese Länge«, bemerkte sie trocken, »wird Burra unsere Körpergröße verringern. Und zwar oberhalb der Schultern. Mythor ist spurlos verschwunden, und niemand weiß, wohin, und Sosona befindet sich am Letzten Ort. Schöner konnte es gar nicht mehr kommen.«
Der neue Tag war hereingebrochen. In der Nacht noch hatte die Sturmbrecher Besuch erhalten, nachdem den Amazonen die Flucht aus dem Traumpalast gelungen war. Entweder waren sie dort noch gesehen worden, obgleich die Kriegerinnen der Matria erst aus der Ferne anrückten (der Traumpalast lag zwar fast im Schatten des Matria-Palasts, aber dennoch weit genug entfernt, ihn nicht innerhalb weniger Augenblicke zu erreichen), oder jemand hatte sich gedacht, daß nur Burras Kriegerinnen dreist sein konnten, einen solchen Frevel zu begehen. Aber die Amazonen lagen in festem Schlaf, und ihre Gesichter waren auch nicht rußgeschwärzt wie die derer, die den Traumpalast überfallen hatten; die Kriegerinnen hatten ein kleines Wunder vollbracht und sich blitzschnell gesäubert. Es war sehr knapp gewesen. Aber sie alle waren froh, daß man ihnen nichts nachweisen konnte.
Von den Eaden selbst war nichts zu erwarten. Sie würden nur verworrene Hinweise geben, die auf alle und niemanden hinweisen konnten.
»Der Letzte Ort«, murmelte Tertish. Auch sie wußte um seine Bedeutung. Der Letzte Ort wurde von all jenen aufgesucht, die freiwillig aus ihrem ehrlosen Leben scheiden wollten. Allen anderen und vor allem den Amazonen blieb der Zutritt verwehrt. Wenn Sosona also den Freitod suchte und sich an den Letzten Ort begeben hatte, war auch sie unerreichbar geworden und konnte keine Fragen mehr beantworten - es sei denn…
»Es sei denn«, murmelte Tertish ihre Gedanken und erhob sich abrupt. Ihr Gesicht verhärtete sich unwillkürlich, wurde blasser, als sie ihren Entschluß faßte.
»Ich werde Sosona am Letzten Ort aufsuchen«, sagte sie hart. »Vielleicht ist es noch nicht zu spät.«
»Nein!« schrie Gudun entsetzt auf. »Das kannst du nicht tun!«
Tertishs Gesicht wurde womöglich noch blasser.
»Wir sind Burra verantwortlich dafür, daß Mythor wohlbehalten an sein Ziel gelangt. Ich muß es tun…«
*
»Es sollte mich nicht sonderlich wundern, wenn es sich um Narein-Amazonen handelte«, sagte Nakido von Horsik grimmig.
»Wobei? Bei dem Überfall auf den Traumpalast in der vergangenen Nacht?«
Nakido nickte. »Ich war selbst unterwegs, um die Matria zu unterstützen, aber die Frevlerinnen waren schon geflohen. Nicht eine von ihnen konnten wir fangen.«
Die Spayolerin knetete ihre Hände; ein deutliches Zeichen ihrer innerlichen Erregung. Der Überfall berührte ihr Innerstes tief wie das jeder Spayolerin, aber trotzdem konnte sie nicht aus ihrer Haut. Jama war zumeist bei der Arena zu finden; sie bot und nahm Wetten auf die jeweiligen Kämpferinnen an und mehrte dabei still und heimlich ihr eigenes Vermögen. Jetzt aber witterte sie ein neues, großes Geschäft.
Wenn sie Wetten anböte, wer den Traumpalast überfallen hatte… das war doch etwas! Das riß auch die letzte Frau in Ganzak aus ihrem Dahindämmern. Gewaltige Summen würden zusammenfließen, und wenn man geschickte Informationen ausstreute, die die Wettenden zuweilen in die Irre führten… Jama sah die Kupfer- und Silbermünzen bereits rollen. Dies konnte der große Schlag werden, der sie ein für alle Mal reich machte.
»Sprich«, forderte sie Nakido auf. »Ich muß alles wissen über das Ereignis. Warum sollten es Narein-Amazonen sein? Durchsuchten die Kriegerinnen der Matria nicht die Sturmbrecher?«
»Es könnte ein Trick sein«, überlegte Nakido. »Ein Versuch, den Verdacht auf Burras Amazonen zu lenken, die als rauflustig bekannt sind. Inzwischen könnten sie, da die Durchsuchung nichts ergab, der Matria einflüstern, wir von Burg Horsik wären die Schuldigen und lenkten den Verdacht auf die Sturmbrecher… «
Was ebenso wahrscheinlich war, überlegte Jama bei sich. Fast alle in Spayol wußten um die große Fehde zwischen Horsik und Narein. Die Wetten versprachen Spannung.
»Ich danke dir«, zischelte sie schließlich und eilte
Weitere Kostenlose Bücher