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Nach Hause schwimmen

Titel: Nach Hause schwimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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auszusehen. Wilbur nahm den Schnurrbart und die Brille ab, zeigte seinen Führerschein und bestellte etwas zu trinken.
    Aus einem Cocktail wurden zwei. Den dritten brauchte Wilbur, um im Kopf die Strecke über die Straße zu bewältigen, den vierten, als er sich ausmalte, wie es sein würde, Alice und seinem Vater gegenüberzutreten. Nach dem fünften war er so betrunken, dass er sich auf dem Weg zur Toilette übergab, neben einer künstlichen Palme auf den Teppichboden sank und in einen ohnmachtsähnlichen Schlaf fiel.
     
    Der Boden und die Wände des Raumes, in dem Wilbur zu sich kam, waren weiß gefliest. Er lag auf einer Schicht flachgetretener Pappkisten, sein Kopf ruhte auf einem Knäuel aus feuchten Geschirrtüchern. Wie eine Decke lag der Regenmantel über ihm. Ein Mann in weiten grauen Hosen und einem schwarzen T-Shirt hockte vor einer Spülmaschine und räumte Gläser in die Gitterkörbe. Er hatte die blonden Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden, seine Arme waren mit einem blauschwarzen Geflecht aus Tätowierungen bedeckt. Wilbur setzte sich auf. Ihm war übel, und das Neonlicht tat seinen Augen weh. An der Wand über ihm hing ein Kalender, auf dem eine bis auf einen gelben Helm und Handschuhe nackte, schwitzende Frau so tat, als bediene sie einen Presslufthammer. Es roch nach Reinigungsmittel und Zigarettenrauch. Zwischen einem rot gestrichenen Schrank und einem Kochherd stand ein Barhocker, auf dem sich leere Getränkekisten stapelten. Schichten bekritzelter Zettel klebten an der Tür eines silberfarbenen Kühlschranks.
    Als Wilbur sich hochrappelte, drehte sich der Mann um. Er grinste und entblößte dabei einen goldenen Schneidezahn. »Na, ausgeschlafen?« fragte er, schloss die Klappe der Spülmaschine mit dem Knie und drückte einen Knopf.
    Wilbur blinzelte in die Helligkeit, sein Mund war ausgetrocknet. Er schüttelte den Kopf, als der Mann ihm eine Zigarette anbot. »Wo bin ich?«
    Der Mann lachte. »Fünf Meter von der Stelle entfernt, an der du weggetreten bist.« Er zündete sich eine Zigarette an, sog den Rauch in die Lungen und breitete die Arme aus. »Willkommen in meinem Reich, der Grabkammer meiner gescheiterten Träume!« Er klemmte die Zigarette zwischen die Zähne und streckte Wilbur die Hand hin. »Roscoe Murphy.«
    Wilbur betrachtete die Hand, an der Ringe blitzten, dann ergriff er sie. »Elwood«, sagte er, »Elwood Mazursky.« Er zog den Mantel an, in dessen Taschen die falsche Brille und die Wollmütze steckten.
    Roscoe Murphy hob eine Augenbraue, grinste dann erneut breit und drückte Wilburs Hand eine Spur zu fest, bevor er sie losließ. »Also dann, Elwood, wie fühlst du dich?« Er lehnte sich gegen den Tisch, der in derMitte des Raumes stand und mit Zeitungen, Putzlappen, leeren Zigarettenpackungen, Kaffeetassen und verschrumpelten Äpfeln übersät war.
    »Besser«, sagte Wilbur, obwohl ihm hundeelend war. »Danke«, fügte er hinzu.
    »Mein Boss wollte dich in den Rinnstein schmeißen. Ich hab ihm gesagt, das kann er nicht machen, nicht bei dem Wetter.« Murphy öffnete eine zweite Spülmaschine, der eine Dampfschwade entwich, die sich mit dem Zigarettenrauch vermengte. »Lassen Sie den Jungen seinen Rausch bei mir drinnen ausschlafen, hab ich ihm gesagt. Ich übernehme die Verantwortung.« Er hob Körbe mit sauberen Gläsern aus der Maschine und stellte sie auf eine mit Tüchern ausgelegte Arbeitsfläche vor sich.
    »Danke«, sagte Wilbur noch einmal.
    »Schon in Ordnung. War auch mal jung.« Murphy räumte die Körbe mit den Gläsern in einen Warenlift und drückte auf einen Knopf. Ein Klingelgeräusch ertönte aus dem Schacht, dann fuhr der Lift nach oben.
    »Also dann«, sagte Wilbur möglichst munter, knöpfte den Mantel zu und klappte den Kragen hoch. »Ich muss los.« Er hielt Murphy die Hand hin. »Nochmals vielen Dank.«
    »Wo willst du denn hin um die Zeit?« fragte Murphy, ohne Wilburs Hand zu ergreifen.
    Erst jetzt wurde Wilbur bewusst, dass er keine Ahnung hatte, wie lange er weggetreten war. »Wie spät ist es denn?« fragte er.
    Murphy holte ein Handy aus der Hosentasche und hielt Wilbur das eisblau leuchtende Display hin. Es zeigte kurz vor drei. Ernüchtert gab Wilbur die Idee auf, bei Verna Kerkowski zu klingeln.
    »Wo wohnst du?« fragte Murphy.
    »Brooklyn.«
    »In einer Stunde hab ich Feierabend. Ich fahr dich nach Hause.« »Danke, das ist nicht nötig.«
    »Kein Problem. Spielst du Schach?«
    Wilbur schüttelte den Kopf. Ein leichter Schwindel befiel

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