Nachhinein
links. Langsam tasten wir uns von Strahl zu Strahl bis zu den beiden nebeneinanderliegenden Duschen vor, unter denen die Distanz zwischen uns kaum eine Armlänge misst. Ich bleibe stehen. Er nicht. Meine Schulter berührt seine Brust.
»Das hier scheint mir die Beste zu sein«, sagt er, deutet mit dem Arm auf die restlichen, »schlechteren« Duschen und fährt grinsend fort: »Wir werden sie uns teilen müssen«
»Damit kann ich leben«, untertreibe ich, während mich das glatte Gleiten von Haut auf Haut und die sanfte Berührung unserer Bauchdecken vor lauter Lebendigkeit halb wahnsinnig machen.
Hunderte Liter Wasser später. Wieder trocknen wir uns ab.
Das widerliche Gefühl spröden Frotteestoffs unter faltigen, aufgeweichten Fingerkuppen.
Dann umziehen. Umständlich, zuerst das T-Shirt an, und anschließend das Bikini-Oberteil ausziehen zu müssen. Gewurschtel.
Der Cellist kramt in seiner Stofftasche und fördert die Kamera des Ägypters zutage. »Damit er sieht, was er verpennt hat …«
Die Tatsache, dass das, was er tatsächlich verpennt und dadurch ermöglicht hat, nicht auf dem Foto zu sehen sein wird, stimmt mich froh. Es würde ihm nicht gefallen.
Der Cellist streckt den Arm mit der Kamera aus. Ich lege den Kopf auf seine Schulter. Es blitzt.
Es war also doch kein Traum. Die gekachelte Waschraumwand hinter unseren Köpfen beweist es.
Die Fragen des Ägypters nach der Entstehungsgeschichte dieses Fotos lasse ich unbeantwortet und versuche, mich auf die restlichen Bilder zu konzentrieren. Doch das verräterische Rot auf meinen Wangen bleibt. Misstrauische, krokodilgrüne Blicke mustern mich von der Seite.
Spätestens als wir im Bus sitzen und ich daran scheitere, meine Bitte um Bild Nr. 17 cool vorzutragen, weiß er, was los ist. Was er davon hält, bleibt unklar.
Für den Rest der Heimfahrt scheint es, als wechselten seine Gefühle diesbezüglich minütlich. Mal lächelt er spöttisch, mal bildet sich eine steile Falte zwischen seinen Brauen; erst hängen seine Schultern traurig, dann sitzt er kerzengerade, entschlossen, mit verkniffenem Mund. Nur seine Augen, die im Innenraum des Busses verzweifelt nach einem Fixpunkt suchen, der nicht ich bin, behalten den Ausdruck bei, den sie beim Anblick meiner Freude über das geschenkte Bild Nr. 17 angenommen haben. Es ist ein Ausdruck mit wässriger Iris. Heller als ein Krokodil. Krautig grün und bitter wie Wermut.
70.
An manchen Abenden, wenn schwerwiegende mathematische Probleme die Decke seines Arbeitszimmers zum Einsturz bringen, besucht mich mein Vater auf der Galerie. Dann sitzt er schweigend auf den Treppenstufen, welche vom Gang in meinen Klavierbereich führen und hört mir beim Spielen zu. Ich mag es, wenn er die Brille abnimmt und mit seinen kurzsichtigen Augen vor sich hinstarrt, ganz in sich selbst und die Musik versunken.
Mehr als 30 Minuten Pause gönnt er sich selten. Ist die Frist verstrichen, wird die Brille wieder aufgesetzt, und sobald er, mit auf dem Rücken verschränkten Armen, im Zimmer auf- und abgeht, weiß ich, dass er neuen Mut gefasst hat und sich für den Rest der Nacht in sein Arbeitszimmer verabschieden wird.
An meiner links vom Klavier hängenden Pinnwand legt er zumeist noch einen kurzen Stopp ein, bevor er mit einem leicht zerstreut wirkenden Winken die Galerie verlässt.
Ich frage mich oft, ob er sich für eine ganz bestimmte Stelle auf der Pinnwand oder mehr für das große, aus Zetteln, Noten, Postkarten und Fotos zusammengesetzte, Ganze interessiert. Nachgefragt habe ich nie. Dass wir gemeinsam so schön schweigen können und nur die Musik zu Wort kommt, erschien mir stets wichtiger.
Umso mehr verblüfft es mich, als er mit ausgestrecktem Zeigefinger auf Bild Nr. 17, welches erst seit gestern an der Pinnwand hängt, deutet und fragt, wer das denn sei.
»Unser Cellist«, antworte ich.
»Aha.« Der Blick meines Vaters wandert zwischen der Fotografie und meinen erglühenden Wangen hin und her. »Aha, aha …«
Amüsiert grinsend nickt er mir zu und verlässt den Raum, während ich sowohl mein ehrliches Gesicht als auch seinen Scharfsinn verfluche.
71.
Als ich am nächsten Tag aus der Schule komme, finde ich einen Stapel Bücher auf dem Boden unter der Pinnwand. Ein Zettel mit der Handschrift meines Vaters verdeckt den ersten Titel. »Vielleicht interessiert dich das. Gruß, Papa.«
Erstaunt ob der Tatsache, dass er mir freiwillig und ohne Ermahnungen einen ganzen Stapel seiner heiligen Bücher
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