Nachrichten aus Mittelerde
Saruman oder Sauron, die Vollmacht ererbt hatte (wie Denethor). Es sei bemerkt, dass die Auswirkungen verschieden waren. Saruman fiel unter die Herrschaft Saurons, wünschte dessen Sieg oder arbeitete ihm nicht mehr entgegen. Denethor blieb in Ablehnung Saurons standhaft, doch man machte ihn glauben, dass sein Sieg unvermeidlich sei, und so fiel er der Verzweiflung anheim. Die Gründe für diese Unterschiede lagen in erster Linie darin, dass Denethor ein Mann von großer Willenskraft war, der sich die Unverfälschtheit seiner Persönlichkeit bewahrte bis zum entscheidenden Schlag, den ihm die (scheinbar) tödliche Verwundung seines einzigen überlebenden Sohnes versetzte. Er war stolz, doch dieser Stolz war durchaus nicht auf seine eigene Person bezogen: Er liebte Gondor und dessen Bewohner und betrachtete sich selbst als vom Schicksal dazu bestimmt, sie in dieser ausweglosen Zeit zu führen. Und in zweiter Linie gehörte ihm der Anor-Stein
von Rechts wegen
, und nichts außer Zweckmäßigkeit sprach dagegen, dass er ihn in seinen tiefen Ängsten benutzte. Er muss geahnt haben, dass der Ithil-Stein sich in bösen Händen befand, und im Vertrauen auf seine Stärke wagte er es, mit ihm Verbindung aufzunehmen. Sein Selbstvertrauen war nicht gänzlich unberechtigt. Sauron gelang es nicht, ihn zu beherrschen, und er konnte ihn nur durch Betrug beeinflussen. Wahrscheinlich schaute er zuerst nicht nach Mordor, sondern war mit jenen ›weiten Ausblicken‹ zufrieden, die der Stein gewährte; daher rührt sein verblüffendes Wissen um Ereignisse, die weit entfernt stattfanden. Es wird nicht erzählt, ob er jemals auf diese Weise Verbindung mit dem Orthanc-Stein und mit Saruman herstellte; vermutlich tat er es, und durchaus zu seinem eigenenNutzen. Sauron konnte in diese Besprechungen nicht eindringen: nur der Betrachter, der sich des Herrscher-Ringes in Osgiliath bediente, konnte ›heimlich lauschen‹. Solange zwei der anderen Steine miteinander sprachen, waren sie für den dritten nicht ansprechbar. 14
Die Wissenschaft von den
palantíri
muss beträchtlich gewesen sein, die in Gondor von den Königen und Truchsessen bewahrt und selbst dann noch überliefert wurde, als man von den Steinen keinen Gebrauch mehr machte. Diese Steine waren ein unveräußerliches Geschenk an Elendil und seine Erben, denen allein sie rechtmäßig gehörten; doch bedeutet dies nicht, dass sie nur von einem dieser ›Erben‹ rechtmäßig benutzt werden konnten. Sie konnten nach dem Gesetz von jedem benutzt werden, der vom ›Erben Anárions‹ oder dem ›Erben Isildurs‹ dazu ermächtigt war, das heißt von einem rechtmäßigen König Arnors oder Gondors. In Wirklichkeit müssen sie in der Regel von solchen Bevollmächtigen benutzt worden sein. Jeder Stein hatte seinen eigenen Hüter, zu dessen Pflichten es gehörte, den Stein in regelmäßigen Abständen zu ›betrachten‹, oder in Zeiten der Not oder auf einen Befehl hin. Andere Personen waren ebenfalls dazu berufen, die Steine zu besuchen, und Minister der Krone, die über ›Einsicht‹ verfügten, nahmen regelmäßig und besondere Besichtigungen der Steine vor und berichteten über die gewonnenen Erkenntnisse dem König oder dem Rat oder, wenn die Sache es erforderte, dem König unter vier Augen. Im späteren Gondor, als das Amt des Truchsess an Bedeutung gewann, erblich wurde und ständig einen ›Ersatzmann‹ für den König und im Notfall einen sofortigen Vizekönig zur Verfügung stellte, scheint die Gewalt über die Steine und ihren Gebrauch hauptsächlich in den Händen der Truchsessen gelegen zu haben und die Überlieferungen über ihr Wesen und ihren Gebrauch scheinen in ihrem Hause behütet und weitergegebenworden zu sein. Seit die Truchsessenwürde von 1998 an 15 erblich geworden war, wurde die Befugnis, die Steine zu benutzen oder diese wiederum zu übertragen, rechtmäßig in ihrer Linie vererbt und stand darum Denethor uneingeschränkt zu. 16
Im Hinblick auf die Erzählung vom
Herrn der Ringe
muss indessen bemerkt werden, dass, unabhängig von solcher übertragener Befugnis und sogar ererbten Rechten, jeder ›Erbe Elendils‹ (das heißt, ein anerkannter Nachkomme, der kraft seiner Abstammung in den númenórischen Reichen einen Thron oder ein Herrscheramt innehatte) das
Recht
besaß, jeden der
palantíri
zu benutzen. Darum beanspruchte Aragorn das Recht, den Orthanc-Stein in Besitz zu nehmen, weil er nun ohne Eigentümer oder Hüter war; und auch, weil er
de jure
der
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