Nacht der Dämonen
ihre Müdigkeit geschwunden. Sie rannte Sost entgegen.
»Wie heißt er?« fragte sie drängend. »Sag mir den Namen dieses Zamoriers, Sost!«
»Mitra!« krächzte er, erschrocken über das unirdische gelbe Licht, das aus Tiamus Augen strahlte, und den Hass, der das junge Gesicht verzerrte. »Tiamu, was …?«
»Seinen Namen!«
»Gevem – aber was …?«
»Bleib hinter mir, Sost!« Tiamu schob ihn zur Seite, machte zwei Schritte vorwärts, blieb stehen und rief: »Erkennst du mich, Gevem? Schau mich an – denn ich möchte, dass du weißt, wer ich bin, ehe du stirbst!«
»Was, zur Holle …!«
»Sieh mich genau an, Zamorier!«
»Ich kenne dich nicht, gelbäugige Hexe!« schrie Gevem. »Welcher Dämon hat dich geschickt, mich so herauszufordern?« Er blickte sich um und bemerkte, dass die meisten seiner Soldaten und die Geiseln sich von ihm zurückzogen. »Nein – bleibt bei mir …!«
»Zurück, Soldaten!« befahl ein Offizier der Stadtwache. »Dieser Zamorier ist verflucht. Es ist ein Gesandter der Hölle gekommen, ihn zu holen!«
»Nein!« schrillte Gevem. Von einem halben Dutzend seiner Offiziere abgesehen, stand er nun allein auf dem Thronpodest. Alle anderen – der Rest seiner Soldaten, die Geiseln, die Elkader – wichen furchtsam zum hinteren Ende des Saales zurück, fort von der angsteinflößenden Hexe, die es auf ihn abgesehen hatte.
Tiamu tat ein, paar weitere Schritte vorwärts. Beim Anblick der Furcht in Gevems Augen stieg wilde Freude in ihr auf.
»Sieh mich an, Zamorier – schau! Wer bin ich?«
»Ich kenne dich nicht.« Gevems Stimme zitterte. »Was willst du von mir, Hexe?«
Wut schüttelte Tiamu. Dieser schlechte Mensch hatte ihr schlimmeres Leid zugefügt, als sie es für möglich gehalten hatte, und jetzt – erkannte er sie nicht einmal! Sie hob den Stab mit beiden Händen und richtete ihn auf Gevem.
»So stirb unwissend!« schrie sie. »Belthal!«
Doch nichts tat sich diesmal. Der Stab der Macht schien nicht mehr als ein einfacher Stock in ihren Händen zu sein.
Gevem, der vor Furcht fast gelähmt gewesen war, erkannte sofort seine Chance. Er wandte sich an einen Soldaten, der nicht bis zur hinteren Saalwand zurückgewichen war. »Schnell – deinen Bogen! Wenn du sie so gut triffst wie Uss, bekommst du hundert Silberstücke – nein, tausend …«
Der Schütze legte bereits einen Pfeil an die Sehne, doch mehr aus Selbsterhaltung, als in Antwort auf Gevems Angebot.
Völlig verstört fragte sich Tiamu, ob ihre Schwäche ihr Ende war – die Schwäche, die sie nach jedem Benutzen des Stabes mehr befallen hatte … Doch in diesem Augenblick drängte sich ihr eine weitere dieser merkwürdigen Erinnerungen auf.
Wenn der Mond den Stern Tiamu verfinstert, wird der Name Belthal seine Kraft verlieren. In diesem Moment musst du den Stab umdrehen und den Größeren Namen nennen.
Kaum dass sie wusste, was sie tat, drehte Tiamu den Stab und richtete das Ende mit dem glühenden roten Kristall auf das Podest. Laut rief sie:
»OM1DOM! «
Ein blendendes rotes Glühen füllte den Saal – und die Erde erbebte heftig. Der Pfeil von des Schützen Bogen flog zur Decke, als er mit Gevem und den paar Offizieren zu Boden geschleudert wurde. Die Marmorsäulen drohten nun ganz zusammenzubrechen. Kleinere Trümmerstücke und zerbröckelnder Mörtel regneten auf die Fliesen – und dann stürzte das ganze hintere Ende der Kuppel ein und begrub die Soldaten unter sich, die dort Zuflucht gesucht hatten. Staubwolken stiegen auf.
Die Druckwelle hatte Tiamu auf die Knie geworfen, doch sie kämpfte sich sofort auf die Füße und hob den Stab senkrecht, ohne zu wissen weshalb, doch da sprach erneut die Erinnerung zu ihr:
Dann wenn der Stab nicht himmelwärts deutet, zum Stern Kaiphal, wird die ganze Stadt vernichtet und du wirst mit ihr umkommen!
Sie fühlte sich schwächer denn zuvor. Der Staub fiel wieder herab, und durch ihn konnte sie die Soldaten sehen. Kein vernichtender Feuerstrom war diesmal aus dem Stabende geschossen – ihre Feinde lebten noch und waren offenbar stärker als sie. Mit der Wut der Verzweiflung in den Augen griff Gevem nach seinem Schwert und stieg die Podeststufen hinunter und auf sie zu … Doch irgend etwas geschah. Ein wachsender Donner erfüllte die Luft – doch kein irdischer Donner war es, sondern ein Laut übernatürlicher Art, der von einer fernen Quelle im Kosmos kam. Tiamu blickte hoch und sah den großen Stern Kaiphal durch das eingebrochene Kuppeldach. Ja, es war
Weitere Kostenlose Bücher