Nacht der Füchse
unserer Botschaft in London. Dort erfährt er so allerlei. Ich bekam Probleme mit dem Verteidigungsministe rium, das sich wegen Martineau und der abgestürzten Maschi ne in Schweigen hüllte.«
»Und da hörte sich Ihr Freund ein wenig um?«
»Und fand noch etwas. Die Zeitungsmeldung, wonach die Arado zur Feindmaschinen-Staffel gehört hatte… ist mögli cherweise anfechtbar.«
»Wieso?«
»Weil Maschinen aus der Staffel die RAF-Kreise aufgemalt bekamen. Biancos Informant aber behauptet, dass das Wrack noch das Balkenkreuz der Luftwaffe trug.«
»Und von amtlicher Stelle konnten Sie gar nichts erfahren?«
»Absolut nichts. So lächerlich sich das anhört, Martineau und der Flug scheinen immer noch irgendwie der Geheimhal tung zu unterliegen.«
Der alte Mann runzelte die Stirn. »Nach vierzig Jahren noch?«
»Das ist noch längst nicht alles«, fuhr ich fort. »Ähnliche Probleme hatte ich letztes Jahr bei meinen Recherchen. Immer wieder stieß ich auf Sperren – Sie verstehen, was ich meine. Ich stellte fest, dass Martineau im Januar 1944 den DistinctiveService-Order erhalten hat – das ist so eine Auszeichnung, die ohne Erklärungen in den Listen steht. Ohne Angaben darüber, womit er sich den Orden verdient hatte.«
»Das ist ein Militärorden, noch dazu ein sehr hoher. Marti neau aber war doch Zivilist«, bemerkte Donald Cullen.
»Anscheinend wurden auch einige wenige Zivilisten damit ausgezeichnet – aber hören Sie: Das passte irgendwie zu einer Geschichte, die ich vor drei Jahren in Oxford hörte, als ich mit meinen Recherchen begann. Der Atomphysiker Max Kübel war viele Jahre lang Professor in Oxford und mit Martineau befreundet.«
»Ja, von dem habe ich schon gehört«, sagte Cullen. »Er war deutscher Jude, nicht wahr, und konnte verschwinden, ehe die Nazis ihn ins Konzentrationslager schickten.«
»Gestorben ist er 1973«, sagte ich. »Aber es gelang mir, mit dem Mann zu sprechen, der gut dreißig Jahre lang im OxfordCollege sein Butler gewesen war. Er erzählte mir, während der großen deutschen Offensive von 1940, die in Dünkirchen ende te, habe Kübel in Freiburg, das dicht an der französischen Grenze liegt, unter Hausarrest der Gestapo gestanden. Dann kam ein SS-Offizier mit Eskorte, um ihn nach Berlin zu brin gen.«
»Und?«
»Der alte Bursche, Howard hieß er, behauptete, Kübel hätte ihm vor Jahren erzählt, dieser SS-Offizier wäre Martineau ge wesen.«
»Haben Sie ihm das abgenommen?«
»Damals nicht. Er war schon einundneunzig und ziemlich senil, aber man darf Martineaus Herkunft nicht vergessen. Of fensichtlich hätte er sich jederzeit glaubhaft als Deutscher aus geben können. Er beherrschte nicht nur die Sprache, sondern hatte eben auch familiäre Wurzeln in diesem Land.«
Cullen nickte. »Aha, angesichts der jüngsten Entwicklungen sind Sie nun bereit, dieser Geschichte mehr zu glauben?«
»Ich weiß langsam nicht mehr, was ich glauben soll«, ent
gegnete ich achselzuckend. »Nichts ergibt einen Sinn. Zum Beispiel die Verbindung zwischen Martineau und Jersey. Mei nes Wissens war er nie auf der Insel und starb fünf Monate ehe die Nazis wieder von hier vertrieben wurden.« Ich leerte mein Glas. »Martineau hat keine lebenden Verwandten. Das weiß ich, weil er nie geheiratet hat. Wer ist also dieser Dr. Drayton, von dem Sie gesprochen haben? Ich weiß nur eins – er muss verdammt großen Einfluss beim Verteidigungsministerium haben, sonst hätte er die Leiche nie freibekommen.«
»Da haben Sie völlig Recht.« Kanoniker Cullen goss mir ei nen zweiten Scotch ein. »In jeder Hinsicht – bis auf eine.«
»Und die wäre?«
»Dr. Drayton«, erklärte er, »ist kein Mann, sondern eine
Frau. Dr. Sarah Drayton, um genau zu sein.« Er hob sein Glas und prostete mir zu.
»Ich bin die Auferstehung und das Leben, sagt der Herr; wer an mich glaubt, soll leben, ob er gleich stürbe.«
Cullens Stimme klang irischer denn je, als er diese Worte laut in den schweren Regen sprach. Über seinem Talar trug er einen dunklen Mantel, und einer der Sargträger stand neben ihm und hielt einen Regenschirm hoch. Die Trauergemeinde bestand aus einer einzigen Person, Sarah Drayton, die auf der anderen Seite des offenen Grabes stand, auch sie unter einem Regenschirm.
Sie sah aus wie achtundvierzig oder fünfzig, und erst später sollte ich erfahren, dass sie schon sechzig Jahre alt war; klein und schlank unter dem schwarzen zweiteiligen Kostüm mit Hut. Ihr
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