Nacht der Versuchung
aufreizende Seidendessous zu erstehen. Allein bei dem Gedanken, diesen hauchzarten Traum aus Seide und Spitze auf der Haut zu tragen, kam sie sich verrucht und unwiderstehlich vor!
Was sie sonst noch brauchte, war rasch gepackt. Dann gab sie Hera eine Nachricht für Madame Flavel, die das Mädchen der alten Dame geben sollte, wenn diese von ihrem Mittagsschlaf erwacht war. Bis dahin würde sie, Mariella, längst in der Oase angekommen sein. Die Nachricht diente zu Madame Flavels Beruhigung und besagte nur, dass sie, Mariella, zur Oase gefahren sei, weil sie etwas mit Xavier zu besprechen habe.
Mariella fuhr mit einem Taxi zu dem Geländewagenverleih und übernahm den Jeep, den sie zuvor telefonisch bestellt hatte. Diesmal achtete sie darauf, den richtigen Radiosender einzustellen, um die lokalen Wetterberichte zu verfolgen. Doch glücklicherweise schienen gegenwärtig keine Sandstürme zu drohen.
Sie atmete noch einmal tief ein, startete den Motor und fuhr los.
Leise fluchend schob Xavier den Laptop weg und stand auf. Er hatte sich in die Oase zurückgezogen, um eine sichere Distanz zwischen sich und Mariella zu schaffen, aber die erzwungene Trennung schien einzig und allein den fatalen Effekt zu haben, dass er nur noch mehr an sie dachte!
Dachte? Wenn er ehrlich war, dachte er nicht nur an sie!
Sein Stamm lagerte keine dreißig Meilen entfernt, und Xavier entschied sich spontan, hinüberzufahren und den Leuten einen Besuch abzustatten. Der Rückzug in die völlige Einsamkeit hatte sich nicht wie sonst als heilsam erwiesen. Überall in der Oase sah er Mariella vor sich. Wie er besaß sie ein sehr starkes Pflichtgefühl, und wie er würde sie ihr Herz niemals leichtfertig verschenken.
Sehnte sie sich auch so sehr nach dem, was sie fast miteinander geteilt hatten? Lag sie wie er nachts wach und hatte Angst, sich einzugestehen, dass diese Gefühle über eine rein körperliche Leidenschaft hinausgingen? Und wenn es so war … konnte sie seine lebenslange Verantwortung und seine Verpflichtungen gegenüber seinem Stamm akzeptieren und teilen? Konnte er es wagen, ihr die Tiefe seiner Gefühle zu offenbaren? Ihr seine Liebe zu offenbaren? Und wie sollte er damit leben, wenn sich seine heimlichen Ängste bewahrheiten würden und seine Liebe über sein Pflichtgefühl siegen würde?
Xavier schaltete den Laptop aus und griff nach den Schlüsseln für den Jeep.
Mariella konnte sich nicht entsinnen, jemals so nervös gewesen zu sein. Die Fahrt über die Wüstenpiste zur Oase hatte sie ohne Probleme hinter sich gebracht. Nun tauchte vor ihr der Pavillon auf, und ihr Herz schlug schneller. Was, wenn Xavier sich nicht verführen lassen wollte und sie zurückwies?
Für den Bruchteil einer Sekunde war sie versucht, eine Kehrtwende zu machen und nach Zuran City zurückzufahren. Doch dann rief sie sich ins Gedächtnis, wie sehr Xavier sie im Garten seiner Villa begehrt hatte. Er hatte es ihr ja praktisch gestanden!
Eigentlich musste Xavier den Jeep vorfahren gehört haben. Mariella wunderte sich, dass er nicht aus dem Zelt kam, um nachzusehen, wer ihn besuchte. Nun, so würde er wenigstens nicht von ihr verlangen können, auf der Stelle umzudrehen und zurückzufahren! Mariella parkte den Jeep, stieg aus und holte ihr leichtes Gepäck heraus. Dann blieb sie neben dem Wagen stehen und blickte unschlüssig zum Zelt.
Vielleicht hätte sie die Sache besser timen sollen? Vermutlich wäre es für ihr Vorhaben zuträglicher gewesen, wenn sie erst abends angekommen wäre … Eine schöne Verführerin war sie! Aber jetzt gab es kein Zurück mehr. Mariella nahm all ihren Mut zusammen und ging dem selbst gewählten Schicksal entgegen.
Fünf Minuten später stand sie wieder vor dem Zelt, blickte auf das Wasser der Oase und wollte immer noch nicht ganz wahrhaben, was eigentlich offensichtlich war: Xavier war gar nicht da! Kein Xavier, kein Jeep, keine Verführung, kein Baby!
Ein deprimierendes Gefühl von Enttäuschung übermannte sie. Wo war Xavier? Hatte er sich vielleicht anders entschlossen und war doch in die Stadt zurückgefahren, obwohl er seine Großtante informiert hatte, dass er noch in der Oase bleiben würde? Welche Ironie des Schicksals, wenn sie sich durch ihren spontanen Entschluss der Möglichkeit beraubt hätte, ihr angestrebtes Ziel zu erreichen!
Doch dann rief Mariella sich ins Gedächtnis, dass der Laptop noch im Zelt stand. Xavier hätte ihn bestimmt nicht zurückgelassen, wenn er nach Hause gefahren wäre. Wo also
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