Nacht der Versuchung
Designermode gekleidet und zu Hause ganz in Weiß eingerichtet, absolut nichts für Tiere übrig hatte. „Ich muss zugeben, das klingt viel versprechend. Aber eigentlich bin ich momentan mit Aufträgen eingedeckt, und außerdem habe ich Fleur für die nächsten sechs Wochen, so dass eine Reise nach Zuran sowieso nicht möglich wäre.“
„Das ist kein Problem!“ widersprach Kate eifrig. „Prinz Sayid hat bestimmt nichts dagegen, wenn du die Kleine mitnimmst. Mariella, einen solchen Auftrag kannst du unmöglich ablehnen! Allein bei dem Gedanken an die Kommission läuft mir das Wasser im Mund zusammen!“
„Ich verstehe“, meinte Mariella lachend. Sie hatte eigentlich durch Zufall angefangen, Tierporträts zu malen. Zuerst war es nur ein Hobby gewesen, und sie hatte die Haustiere ihrer Freunde porträtiert. Per Mundpropaganda war sie dann immer weiterempfohlen worden, bis schließlich so viele Aufträge eingegangen waren, dass sie sich entschlossen hatte, ihren Lebensunterhalt ganz auf diese Weise zu verdienen. Inzwischen war ihr Ruf so weit gediehen, dass sie sehr gut von ihrer Arbeit leben konnte, und normalerweise hätte sie auch nicht eine Sekunde gezögert, die Chance zu ergreifen, die Kate ihr nun bot. „Weißt du, Kate, ich würde es ja wirklich gern machen, aber augenblicklich muss ich zuerst an Fleur denken.“
„Überleg es dir gut, bevor du einen solchen Auftrag ausschlägst“, warnte Kate sie. „Wie ich schon sagte, es gibt keinen Grund, warum du Fleur nicht mitnehmen könntest. Du würdest bei deinem Aufenthalt in Zuran ja noch gar nicht arbeiten – das Treffen dient nur dem gegenseitigen Kennenlernen. Es würde sich auch nur um gut eine Woche handeln, und wegen des Babys brauchst du dir wirklich keine Sorgen zu machen. Die Hauptstadt von Zuran ist eine moderne, internationale Weltmetropole!“
Mariella stand an dem großen Nordfenster in ihrem Studio und blickte nachdenklich hinaus. Dieses Dachzimmer mit dem idealen Licht war einer der Gründe gewesen, warum sie das kleine, dreigeschossige Haus überhaupt gekauft hatte. Nun war Fleur satt und zufrieden auf ihrem Arm eingeschlafen. Draußen hatte es aufgehört zu regnen, und die ersten Sonnenstrahlen brachen bereits durch die Wolken. Ein Spaziergang im Park würde ihnen beiden gut tun.
Mariella legte Fleur ins Bettchen und ging, um den Kinderwagen bereit zu machen. Als sie die Decke zurückschlug, stieß sie mit den Fingern an ein zusammengeknülltes Stück Papier. Da sich Fleurs zarte Babyhaut daran hätte verletzen können, nahm sie es heraus und wollte es schon wegwerfen, als einige Worte in der Handschrift ihrer Schwester ihre Aufmerksamkeit erregten. Das Blatt Papier war ein Brief, und Name und Adresse standen deutlich lesbar oben drüber:
Scheich Xavier Al Agir, Nr. 24, Quaffire Beach Road, Zuran City
Mariellas Herz pochte. Etwas schuldbewusst glättete sie das Blatt und las die erste Zeile:
ich werde den Mann, der mein Leben und das von Fleur zerstört hat, immer dafür hassen …
Offensichtlich handelte es sich um einen Brief, den Tanya an Fleurs Vater geschrieben, aber nie abgeschickt hatte. Tanya hatte sich immer geweigert, über ihre Beziehung mit ihm zu sprechen. Mariella wusste lediglich, dass es sich um einen sehr reichen Mann aus dem Nahen Osten handelte, den ihre Schwester kennen gelernt hatte, während sie als Sängerin und Tänzerin in einem Nachtclub gearbeitet hatte. Insgeheim war Mariella immer der Auffassung gewesen, dass er sich seiner Verantwortung für Tanya und Fleur zu leicht entzogen hatte.
Und nun hatte sie also entdeckt, dass er in Zuran lebte! Nachdenklich faltete sie den Brief zusammen. Natürlich hatte sie kein Recht, sich einzumischen. Aber war es denn Einmischung oder nicht vielmehr Schicksal? Wie oft hatte sie sich im Lauf der Jahre die Chance gewünscht, ihren eigenen Vater zur Rede stellen und ihm sagen zu können, was sie davon hielt, wie er ihrer Mutter das Herz gebrochen und damit fast auch ihr Leben zerstört hatte? Ihr Vater war wie ihre Mutter inzwischen gestorben und konnte sein Handeln nie wieder gutmachen. Tanyas Liebhaber aber war noch höchst lebendig, und es würde ihr, Mariella, eine große Genugtuung bereiten, ihm zu sagen, was sie von ihm hielt!
Kurz entschlossen eilte sie erneut zum Telefon und wählte die Nummer ihrer Agentin. „Kate? Ich habe noch einmal über diese Reise nach Zuran nachgedacht …“
„Du hast deine Meinung geändert? Wie wundervoll! Ich verspreche dir,
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