Nacht der Zaubertiere
Für Gerda,
die jeden Tag meines Lebens
zu einem Tag kindlicher Wunder macht
Ein dunkler Tag
Amos, der Bär, stand auf der Bank des Spielzeugmachers und betrachtete durch das Kellerfenster die purpurschwarzen Sturmwolken, die von Osten heraufzogen. Tiefe Trauer erfüllte ihn, aber auch Angst.
Dies ist ein dunkler Tag, dachte er, und ein Schaudern lief ihm über den Rücken.
Kahl standen die Novemberbäume da und reckten die schwarzen, dürren Äste wie Geisterarme in den Himmel. Das rote Licht des Sonnenuntergangs verblaßte rasch. Bald würde mit der Nacht die Finsternis kommen. Der drohende Sturm würde den Mond und die Sterne auslöschen.
Arnos kam es so vor, als ob nie wieder ein heller Morgen heraufziehen könnte, als ob die Welt für immer und ewig in tiefe Trübsal versänke.
Der Tag war nicht nur des Wetters wegen finster, sondern weil der alte Isaak Liebmann, der Spielzeugmacher, gestorben war. Für seine Schöpfungen, die mit Zauber erfüllten Spielzeugtiere, die er seine Zaubertiere genannt hatte, war er Vater Isaak, und sein Tod hatte sie niedergeschlagen und- furchtsam gemacht.
Der alte Mann hatte seit Wochen gewußt, daß er sterben mußte. Das Ende war jedoch rascher gekommen, als er erwartet hatte. Er fühlte sich an diesem Morgen müde und hatte beschlossen, sich auf das Sofa in einer Ecke der Werkstatt zu legen, um sich eine halbe Stunde vor dem Mittagessen auszuruhen. So war er friedlich im Schlaf hinübergegangen.
Sein Partner Samuel, dem ein Spielzeugladen gehörte und der die Schöpfungen des alten Isaak verkaufte, war vorbeigekommen, um neue Ware abzuholen, und hatte dabei entdeckt, daß der Schlaf des alten Mannes tiefer war, als er hätte sein sollen. Während all die ausgestopften Spielzeugtiere auf den Regalen und auf den Werkstattbänken saßen und so taten, als ob sie nicht lebendig wären, rief Samuel den Arzt an. Dieser kam sofort mit seiner großen Ledertasche herbeigeeilt, die voller Arzneien und medizinischen Instrumenten war. Der Anblick des Arztes hatte die Zaubertiere wieder hoffen lassen, aber es verging nur kurze Zeit, dann wurde der Leichnam des alten Isaak hinausgetragen.
Jetzt waren die Spielzeugtiere in dem weiträumigen alten Haus allein, das für Herrn Liebmann Werkstatt und Wohnung in einem gewesen war. Und es war immer noch das Heim der Zaubertiere, wie die kleine Firma des geliebten und verehrten alten Mannes hieß. Die Luft war so schwer von Trauer, daß sie Amos niederdrückte und seine Schultern nach vorn sacken ließ.
Er hätte gern geweint, wenn er es vermocht hätte. Herr Liebmann hatte den Spielzeugtieren, die er herstellte, mit großer Kunst und Zauberkraft Leben verliehen, aber Arnos war trotzdem nur ein Teddybär. Er konnte keine Tränen hervorbringen, sosehr er sich danach sehnte.
Hinter Arnos schluchzten die anderen Tiere. Sie konnten auch nicht weinen, aber sie konnten jammervolle Klagelaute ausstoßen.
Amos jedoch gestattete sich nicht einmal einen Seufzer. Er mußte stark bleiben, denn Vater Isaak hatte ihn dazu bestimmt, die anderen durch die kommende schreckliche Zeit zu fuhren.
Vorige Woche hatte der alte Isaak Amos mit in das Arbeitszimmer mit den vielen Büchern genommen, das vorne im Haus lag und in dem sie sich ungestört unterhalten konnten. Der Spielzeugmacher hatte sich hinter seinem reichgeschnitzten Schreibtisch niedergelassen, während Amos auf dem Tisch saß, im roten und gelben und blauen und grünen Licht einer Lampe mit einem Schirm aus verschiedenfarbigen bleigefaßten Glasstücken. Der alte Mann hatte von Amos’ Bestimmung gesprochen und ihm gewisse Geheimnisse enthüllt...
Vater Isaak lehnte sich in seinen großen Sessel zurück und faltete die alten, aber immer noch kräftigen Hände auf seinem runden Bauch. Er betrachtete Amos über den Rand seiner Brille hinweg und sagte: »Du kennst ja den Grund, weswegen ich dich, warum ich euch alle geschaffen habe.«
Amos richtete sich stolz und kerzengerade auf.
»O ja. Eines Tages werde ich in einem Laden ausgestellt. Ich werde gekauft, als Geschenk für ein ganz besonderes Kind, das dringend einen guten Freund braucht, einen heimlichen Freund.«
»Das ist richtig.« Herr Liebmann lächelte und nickte zustimmend. »Es wird ein kleiner Junge oder ein kleines Mädchen sein, ein Kind, das später, wenn es erwachsen ist, etwas Wichtiges für die Welt leisten wird. Ein besonderes Kind, wie du ja schon gesagt hast. Ein Kind, auf das schwere
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