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Nacht in Havanna

Nacht in Havanna

Titel: Nacht in Havanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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Fontäne aus Gasen und Flüssigkeit geräuschvoll heraus, und als er den Y-Schnitt über die Brust und bis zum Unterleib vornahm, schwappte eine Welle aus schwarzem Wasser und verflüssigter Materie über den Tisch, die einer der Laboranten mit einem Eimer geschickt auffing. Ein Gestank von Verwesung - als ob man mit einer Schaufel in Sumpfgas gestoßen hätte - breitete sich im Raum aus und drang in jedermanns Mund und Nase. Arkadi war froh, daß er seinen wertvollen Mantel im Wagen gelassen hatte. Nach dem ersten Schock - fünf Minuten, nicht mehr - waren die olfaktorischen Nerven traumatisiert und taub, doch er hatte seinen Vorrat an Zigaretten schon kräftig dezimiert.
    »Riecht ja ekelhaft«, stellte Rufo fest.
    »Russischer Tabak.« Arkadi füllte seine Lungen mit Rauch. »Wollen Sie eine?«
    »Nein, danke. Ich habe in Rußland geboxt, als ich in der Nationalmannschaft war. Ich habe Moskau gehaßt. Das Essen, das Brot und vor allem die Zigaretten.«
    »Und die Russen mögen Sie auch nicht?«
    »Ich liebe Russen. Einige meiner besten Freunde sind Russen.« Rufo beugte sich zur besseren Sicht vor, als Blas die Brust für die Kamera aufhielt. »Der Doktor ist sehr gut. So wie die vorankommen, schaffen Sie Ihr Flugzeug noch. Sie müssen nicht mal über Nacht bleiben.«
    »Wird die Botschaft wegen dieser Sache kein Theater machen?«
    »Die Russen hier? Nein.«
    Blas klatschte die breiige Herzmasse auf ein extra Tablett.
    »Ich hoffe, Sie denken nicht, daß sie zu unsanft vorgehen«, sagte Rufo.
    »O nein.« Der Fairneß halber erinnerte Arkadi sich daran, daß Pribluda Leichen mit der gleichen Begeisterung ausgeweidet hatte, mit der eine Wildsau nach Eicheln suchte. »Stell dir vor, wie überrascht das arme Schwein gewesen sein muß«, hätte er gesagt. »Treibt so vor sich hin, guckt zu den Sternen hoch und, peng, ist er tot.«
    Arkadi zündete sich eine Zigarette an der anderen an und sog den Rauch so scharf ein, daß ihm die Augen tränten. Ihm wurde bewußt, daß er an einem Punkt angekommen war, an dem er mehr Tote als Lebende kannte, auf der falschen Seite einer bestimmten Linie.
    »Ich habe viel von der Sprache aufgeschnappt, als wir mit der Mannschaft unterwegs waren«, sagte Rufo. »Nach dem Ende meiner Boxkarriere habe ich als Führer für Gesangsgruppen, Tänzer und intellektuelle Gäste der Botschaft gearbeitet. Ich vermisse diese Zeit.«
    Kommissarin Osorio breitete systematisch die Vorräte aus, die der Tote mit aufs Meer hinausgenommen hatte: eine Thermoskanne, einen Weidenkorb und Plastiktüten mit Kerzen, Klebebandrollen, Garn, Haken und Ersatzschnur.
    Normalerweise nahm ein Gerichtsmediziner einen Schnitt am Haaransatz vor und zog die Stirn über das Gesicht, um zum Schädel vorzudringen. Da jedoch im vorliegenden Fall sowohl Stirn als auch Gesicht bereits abgerutscht waren und sich in die Bucht verabschiedet hatten, machte sich Blas sofort daran, mit einer Knochensäge das Gehirn freizulegen, das sich als von Würmern zerfressen erwies, die Arkadi an die Makkaroni erinnerten, die bei Aeroflot serviert wurden. Als sein Ekelgefühl zunahm, ließ er sich von Rufo zu einer winzigen Toilette mit Kettenzug-Wasserspülung führen, wo er sich übergab. Vielleicht bin ich doch nicht so abgehärtet, dachte er, vielleicht habe ich einfach mein Limit erreicht. Rufo hatte ihn allein gelassen, und als Arkadi zum Obduktionssaal zurückging, kam er an einem Zimmer vorbei, das nach Formaldehyd roch und mit anatomischen Karten dekoriert war. Auf einem Tisch ragten zwei Füße mit gelben Zehennägeln unter einem Laken hervor. Zwischen den Beinen lag eine überdimensionierte Spritze, die über einen Schlauch mit einer Wanne voll Balsamierflüssigkeit auf dem Boden verbunden war, eine Technik, wie sie in den kleinsten, primitivsten russischen Dörfern angewandt wurde, wenn die elektrischen Pumpen ausfielen. Die Nadel der Spritze war besonders lang und schmal, um in eine Arterie zu passen, die dünner war als eine Vene. Zwischen den Füßen lagen Gummihandschuhe und in einer noch ungeöffneten Plastikverpackung eine weitere Spritze, die Arkadi in seine Jackentasche schob.
    Als er auf seinen Platz zurückkehrte, bot Rufo ihm zur Wiedererweckung seiner Lebensgeister eine kubanische Zigarette an. Das Gehirn des Toten war mittlerweile gewogen und beiseite gestellt worden, und Dr. Blas hatte Kopf und Kiefer zusammengesetzt. Obwohl Rufo nur ein Einwegfeuerzeug aus Plastik besaß, behauptete er, es schon zwanzigmal wieder

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