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Nacht in Havanna

Nacht in Havanna

Titel: Nacht in Havanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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sie. Capitán Arcos gab Befehl, die Leiche anzuheben. Als der Taucher den Kopf stabilisieren wollte, verflüssigte der Druck seiner Hand das Gesicht des Toten und ließ es wie die Haut einer Weintraube über den Schädel gleiten, der selbst sauber vom Hals getrennt wurde; es war, als versuchte man einen Mann hochzuhieven, der sich perverserweise in seine Einzelteile auflöste, ohne sich um den Gestank seiner fortgeschrittenen Verwesung zu kümmern. Am Himmel segelte ein Pelikan vorbei, rot wie ein Flamingo.
    »Ich befürchte, die Identifizierung wird ein wenig komplizierter werden, als der Capitán sich das vorgestellt hat«, meinte Arkadi.
    Der Taucher fing den Kiefer ein, der sich vom Schädel gelöst hatte, und jonglierte mit beiden, während der Polizist die anderen schwarzen, aufgequollenen Gliedmaßen wahllos in den schrumpfenden Schlauch stopfte.
    »Feo, tanfeo. Nopuedespasaraqui, amigo. Porque lafiesta no es para los feos.«
    Der Rhythmus war. wie sollte man ihn beschreiben, fragte sich Arkadi. Gnadenlos.
    Auf der anderen Seite der Bucht schien eine goldene Kuppel in Flammen aufzugehen, und die Häuser entlang des Malecon begannen unvermutet in den Farben Limone, Rose, Purpur und Aquamarin zu leuchten. Wirklich eine wunderschöne Stadt, dachte er.
    Durch die hohen Fenster des Obduktionssaals des Institute de la Medicina Legal fiel Licht auf drei Stahltische. Auf dem rechten Tisch lagen der Torso sowie Einzelteile des neumatico, arrangiert wie eine antike Statue, die man in Fragmenten aus dem Meer geborgen hatte. Entlang der Wände reihten sich Emailleschränke, Wagen, ein Leuchttisch für Röntgenaufnahmen, ein Waschbecken, Regale für Gläser mit Präparaten, ein Gefrierschrank, ein Kühlschrank und Eimer. Oberhalb in den Zuschauerrängen hatten Rufo und Arkadi ein Halbrund aus Sitzen für sich. Arkadi war bis jetzt nicht aufgefallen, wie vernarbt Rufos Brauen waren.
    »Sargento Luna wäre es lieber, wenn Sie von hier aus zusehen. Der Gerichtsmediziner ist Dr. Blas.«
    Rufo machte eine erwartungsvolle Pause, bis Arkadi begriff, daß er eine Reaktion zeigen sollte. »Der Dr. Blas?«
    »Höchstpersönlich.«
    Blas hatte einen eleganten spanischen Bart und trug Gummihandschuhe, eine Schutzbrille und grüne OP-Kleidung. Erst nachdem er sich vergewissert hatte, einen einigermaßen kompletten Körper vor sich zu haben, maß er ihn und untersuchte ihn sorgfältig auf Spuren und Tätowierungen, eine mühsame Angelegenheit, weil die Haut bei jeder Berührung verrutschen konnte. Eine Autopsie mochte genausogut zwei wie vier Stunden dauern. An dem linken Tisch gingen Kommissarin Osorio und zwei Kriminallaboranten den Inhalt des luftleeren Schlauchs und des Fischernetzes durch; die Leiche war darin transportiert worden, aus Angst, sie weiter zu zerstören. Capitán Arcos stand daneben, Luna einen Schritt hinter ihm. Arkadi fiel auf, daß Lunas Kopf aussah wie eine geballte schwarze Faust mit rotgeränderten Augen, rund und grob. Die Kommissarin hatte bereits eine nasse Rolle amerikanischer Dollarscheine und einen Ring mit Schlüsseln gefunden, die in einer lecken Plastiktüte aufbewahrt worden waren. Mögliche Fingerabdrücke würde es nicht geben, weshalb sie den Schlüsselring umstandslos an einen Beamten weitergab. Dann hängte sie das nasse Hemd, die Shorts und die Unterwäsche auf einen Ständer. Sie strahlte eine reizvolle Energie und Gründlichkeit aus.
    Bei der Arbeit sprach Blas in ein Mikrofon, das am Revers seines Kittels klemmte.
    »Seit etwa zwei Wochen im Wasser«, übersetzte Rufo und fügte hinzu: »Es war heiß und regnerisch, sehr feucht. Selbst für hiesige Verhältnisse.«
    »Haben Sie schon einmal an einer Autopsie teilgenommen?« fragte Arkadi.
    »Nein, aber ich war schon immer neugierig darauf. Und natürlich habe ich schon von Dr. Blas gehört.«
    Die Obduktion einer Leiche in einem fortgeschrittenen Stadium der Verwesung erforderte ebensoviel Fingerspitzengefühl wie das Sezieren eines weichgekochten Eis. Das Geschlecht des Toten war offensichtlich, nicht jedoch sein Alter und seine Rasse, genausowenig wie sich bei aufgeblähter Bauch- und Brusthöhle die Größe oder das Gewicht der mit Wasser vollgesogenen Leiche feststellen ließ. Die Hände, die über eine Woche im Wasser gehangen hatten, endeten in Fingerspitzen, die bis auf die Knochen abgenagt waren und zur Abnahme von Fingerabdrücken nicht mehr taugten. Hinzu kam der Druck der Fäulnisgase. Als Blas den Unterleib punktierte, schoß eine

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