Nacht ohne Schatten
ist es ihre Pflicht als Ãrztin. Erst als sie allein ist, erinnert sie sich an das Blut auf dem seidenen Unterhemd und daran, dass es am ganzen Körper der Frau keine offene Wunde gab. Von wem stammte dieses Blut, wenn nicht von ihr? Ekaterina rennt die AuÃentreppe hinunter auf die StraÃe. Zu spät. Nur der Wind ist noch hier, der feuchtwarme Westwind, der von Unheil kündet.
* * *
Schritte. Knistern. Was zum Teufel? Benommen öffnet Manni die Augen. Die Frau, die er in der Nacht nur äuÃerst widerwillig allein in seinem Bett zurückgelassen hat, lächelt auf ihn herab, unverschämt sexy, hinreiÃend schön.
»Guten Morgen, Herr Oberkommissar. Ich hab Frühstück mitgebracht.«
Manni hievt seinen vom nächtlichen Einsatz lädierten Körper in eine halbwegs sitzende Position. Stundenlang ist er mit den Spurensicherern im strömenden Regen über den Bahndamm gekrochen und hat Müll eingesammelt. Kippen, Verpackungen jeder Art in diversen Stadien des Verfalls, angegammelte Klamotten. Als er schlieÃlich auch noch eine Klobrille fand, hat er es drangegeben. Zu spät, wie sich herausstellte, denn als er endlich zu Hause ankam, war sein Bett gähnend leer. Er ist auf dem Sofa eingeschlafen, hat sich nicht einmal ausgezogen, die Jeans klebt noch immer feucht an seinen Beinen, undsein Nacken ist steif und schmerzt höllisch. Manni angelt sein Handy aus der Hosentasche. Heilige ScheiÃe, es ist kurz vor acht. Warum hat Sonja nicht auf ihn gewartet? Und wie ist sie jetzt wieder in seine Wohnung gekommen? Er entdeckt seinen Ersatzschlüssel auf dem Tisch, neben einer Brötchentüte. Diese Frage wäre zumindest geklärt.
»Wo warst du?« Seine Stimme klingt mindestens eine Oktave tiefer als sonst.
»Zu Hause.« Sonja macht sich in Hausherrinnenmanier an seinen Schränken zu schaffen, stellt Tassen und Brettchen auf den Tisch. »Hast du grünen Tee?«
»Ich hab O-Saft, wenn du keinen Kaffee magst.« Er stampft ins Bad, reiÃt sich die Klamotten vom Leib und stellt sich unter die Dusche. Sonja. Ewig hat es gedauert, bis er sie im Bett hatte, und dann, kaum ging es endlich zur Sache, warâs schon wieder vorbei mit dem SpaÃ. Er denkt daran, wie perfekt ihre Brüste in seine Hände passen, während das heiÃe Wasser auf seine Schultern prasselt. Wie sie lacht, wie sie riecht, wie sie ihn angefasst hat. Auf dem Bauch hat sie ein interessantes Tattoo, dessen Bedeutung sie ihm nicht verraten will. Es hilft nichts. Als Manni sich abtrocknet, fühlt er sich trotzdem wie ein ausgemusterter Zugochse, was insofern nicht weiter tragisch ist, als ihm keinerlei Zeit für eine Morgennummer bleibt. Im Stehen stürzt er ein Glas Saft runter und schnappt sich ein Croissant. Sonja hat ihr rotblondes Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden. Sie riecht noch immer nach diesem Orientparfum und mustert ihn, ohne etwas zu sagen.
»Sorry, ich muss los. Ich ruf dich an. Lass meinen Schlüssel hier, wenn du gehst.«
Sie deutet einen Militärgruà an, winkt dann zum Abschied und lächelt.
Unten fegt der Wind Zeitungsseiten den Rinnstein entlang. Fettbäuchige Wolken verschlucken das Morgenlicht, nur wenige Autos sind unterwegs, so dass Manni zügig vorankommt und sogar direkt vor den Waschbetontreppen des RechtsmedizinischenInstituts einen Parkplatz ergattert. Vor der gläsernen Eingangstür des Obduktionsgebäudes steht eine zierliche Frau mit einer irrsinnigen Fellmütze in einem die Augen beleidigenden, violetten Plüschpullover. Ein Hauch von Kälte scheint sie zu umgeben. Sie drückt eine Pappmappe aus einer Hängeregistratur an ihre Brust. Manni nickt ihr zu, aber sie schaut mit ihren Kohleaugen einfach durch ihn durch in den Himmel. Der Obduktionssaal ist noch leer, Judith Krieger und Karl-Heinz Müller lungern, Nikotinschwaden ausatmend, drei Stockwerke höher im Büro des Rechtsmediziners herum und wärmen sich an Kaffeebechern. Die Kaffeemaschine blubbert einladend. Manni angelt eine einigermaÃen sauber aussehende Tasse hinter einem grinsenden Totenschädel hervor und schenkt sich ein.
Der Kaffee ist so stark, dass er Lebende töten oder Tote wecken könnte, je nachdem. Der Krieger scheint er jedenfalls zu bekommen. Nur die Schatten auf ihren sommersprossigen Wangen zeugen noch davon, dass sie genauso wenig geschlafen hat wie Manni. Er entdeckt einen Teelöffel, reibt ihn an
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