Nacht über Algier
ich heute abend essen gehe?«
»Keine Ahnung.«
»Ins >Sultanat bleu<, den nobelsten Laden in der ganzen Bucht. Das Essen ist da so gut, selbst ausgeschissen kann man es noch in einem Fastfood-Restaurant servieren.«
»Du hast also doch im Lotto gewonnen.«
»Irrtum. Es stimmt allerdings, daß ich 'nen Volltreffer gelandet habe, und zwar bei einer Dame. In einer halben Stunde bin ich mit ihr verabredet.«
»Wo ist deine Knarre?«
Lino weiß genau, worauf ich anspiele. Er wirft den Kopf zurück und erwidert mürrisch: »Brauch ich nicht, Kommy. Das ist kein Häschen. Diesmal ist es was Solides.«
Seine gute Laune ist verflogen, er macht auf dem Absatz kehrt.
15 Uhr 19 zeigt die Uhr erbarmungslos.
Ich nehme das Telefon und rufe den Chef im dritten Stock an.
»Jaa?« Inspektor Bliss nimmt den Hörer ab, was mir die Galle überlaufen läßt.
»Kommissar Llob am Apparat.«
»Was willst du?« knurrt er.
»Und du, was treibst du im Büro vom Boß?«
»Ich arbeite.«
»Laß den Quatsch, und gib mir den Direx.«
»Wie nennst du ihn, bitteschön?«
Ich würde am liebsten durch den Hörer greifen und ihm an die Gurgel gehen.
»Ich wußte gar nicht, daß du neuerdings sein Anrufbeantworter bist.«
Er knallt den Hörer auf die Gabel, ohne Respekt vor meinem Alter und meinem Dienstgrad. Ich rege mich kurz auf, und als ordentlicher Algerier nehme ich dann, da der Chef nicht da ist, meine Jacke und mache mich aus dem Staub.
Nach ziellosem Umherirren lande ich vor der Buchhandlung von Mohand. Sicherlich hatte der Zufall einen kleinen Hintergedanken dabei, weshalb ich beschließe, mich seinem Spiel zu überlassen. Monique räumt gerade einen Stoß Bücher in die Regale. In ihrem aufreizenden Rock schwankt sie oben auf einer Trittleiter. Als erstes stelle ich fest, daß sie nicht von ihrer alten Gewohnheit abzurücken scheint: Sie trägt immer noch Männerunterhosen. Ich huste in die Hand, um meine Sinne zu beruhigen. Monique freut sich so sehr über meinen Besuch, daß sie sich mir buchstäblich an den Hals wirft.
»Mensch, das ist ja eine Ewigkeit her! Was führt dich hierher?«
»Mein Riecher. Eine Buchhandlung war schon immer ein Ort für subversive Treffen. Da ich zur Zeit arbeitslos bin, will ich hier mal ein bißchen rumschnüffeln.«
Monique ist eine waschechte Elsässerin, und sie überragt mich um zwei Köpfe. Weswegen ich es tunlichst vermeide, neben ihr zu stehen.
»Du scheinst gut in Form zu sein.«
»Weil es mir an Inhalt fehlt.«
»Bitte, fang nicht schon wieder damit an. Laß mir doch die Freude, wenn du schon mal gute Laune hast.«
Ich lasse sie ihr und ringe mir ein kleines Lächeln ab.
»Hast du dich verlaufen?«
»Meine Leser finden, daß in meinen Büchern nicht genügend Frauen vorkommen.«
»Du willst mich wohl auf den Arm nehmen, Brahim?«
Sie bricht in schallendes Gelächter aus. »Dann komme ich also in deiner nächsten Schwarte vor? Warum hast du nicht vorher Bescheid gesagt? Dann hätte ich mich noch mal schnell gekämmt.«
Ich habe Monique 1959 in Ighider kennengelernt, wo sie Geschichte und Geographie unterrichtete. Nach dem Krieg und der darauffolgenden schrecklichen Welle von Repressalien ist die Familie nach Frankreich zurückgegangen. Monique ist geblieben. Sie hat Mohand geheiratet, einen d'arguez aus den Bergen, der außerdem ein Büchernarr ist. Während die Freunde in der Hochzeitsnacht im Patio auf das blutige Laken lauerten, haben die beiden Turteltäubchen anscheinend bis zum Morgen kabylische Gedichte übersetzt. Und da sie in ihrem Dorf ihrer Leidenschaft nicht genügend nachgehen konnten, haben sie sich in Bab El-Oued schließlich eine schlechtgehende kleine Buchhandlung gekauft.
»Mohand, sieh mal, wer gekommen ist«, ruft Monique nach hinten.
»Es gibt nur einen Typen, der so gotterbärmlich stinkt«, tönt eine näselnde Stimme aus dem Hintergrund.
Ich flüstere Monique zu: »Er sollte mal seinen Bart desinfizieren.«
Sie läßt von neuem ihr wohltuendes Trompetengelächter erschallen. Ein Vorhang wird zurückgeschoben, und Mohand taucht aus seinem Rattenloch auf. Ein kleiner Wicht von höchstens fünfzig Kilo, der die Nase hoch und eine eingefaßte Brille trägt. Hätte die Natur ihn nicht mit einer so alarmierenden Glatze ausgestattet, man wäre fast versucht, ihn zu adoptieren.
»Brahim Llob, leibhaftig«, sagt er und mustert mich dabei fragend von oben bis unten. »So läßt man also seine Freunde hängen.«
»Ich bin ein Snob, das weißt
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