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Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin

Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin

Titel: Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kester Schlenz
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kurzen Moment, wie wohl sein Blut schmecken würde. Die Polizisten schwiegen. Der Jüngere sah an mir herunter und betrachtete meine zerrissene Jacke und die schmutzige Hose, um schließlich kopfschüttelnd bei meinen Haaren zu verweilen, die wirr und strähnig herunterhingen. »Hören Sie«, sagte ich und unterdrückte meinen Zorn. »Ich pflege mich nicht umzuziehen, bevor ich Streit mit meinem Freund anfange. Es geht mir nicht sehr gut, aber ich bin weder in Gefahr noch habe ich etwas getan, und meines Wissens gibt es in diesem Lande kein Gesetz, das nächtliches Joggen in heruntergekommener Kleidung verbietet, und außerdem…«»Schon gut«, sagte der Ältere. »Wir tun ja nur unsere Pflicht. Können wir noch irgend etwas für Sie tun?« »Ja«, sagte ich schnell in versöhnlichem Ton. »Sie können mir sagen, wo der Bahnhof ist.« »Oh, da müssen Sie noch etwa zwanzig Minuten diese Straße entlanglaufen«, sagte der Jüngere. »Sollen wir Sie hinbringen?« »Danke, nein«, beeilte ich mich zu sagen und lief los. Die Polizisten folgten mir nicht.
    Das Gespräch mit den beiden Beamten hatte mich tief beunruhigt. Ich musste dringend etwas tun, um nicht aufzufallen. Ich brauchte eine Dusche, neue Kleidung und mehr Geld. Abrupt blieb ich stehen. Plötzlich sehnte ich mich mit unerwarteter Heftigkeit nach meinem Zuhause. Meiner kleinen Wohnung, meinen Kleidern, meinen Sachen. Ich brauchte ein Nest, einen Ort, an den ich mich wenigstens für kurze Zeit zurückziehen konnte, um alles in Ruhe zu überdenken. Aber warum eigentlich nicht nach Hause? Sicher, ich war seit über einer Woche verschwunden. Vielleicht war die Polizei schon dagewesen. Sie hatten sicher nachgesehen, nichts Verdächtiges entdeckt und waren wieder verschwunden. Warum sollten sie die Wohnung einer Verschwundenen so schnell versiegeln? Meine Schlüssel besaß ich noch. Es musste mir nur gelingen, unerkannt in mein Appartement zu kommen und auch wieder zu verschwinden. Das konnte doch nicht so schwer sein. Wenn ich Glück hatte, würde ich mit dem Zug noch in den frühen Morgenstunden zu Hause sein.
    Ich rannte los. Schon nach wenigen Minuten wurden die Bahnhofsgeräusche immer deutlicher. Um diese Zeit war nicht mehr viel los, und so trat ich ins Licht an den Fahrkartenautomaten und löste ein Ticket. Aus einem anderen Automaten zog ich Seife, Shampoo und billiges Parfüm. Dann wartete ich.
    Nach etwa einer Stunde kam ein Zug. Ich stieg ohne Hast ein, fand sofort ein leeres Abteil, löschte das Licht und atmete tief durch, als der Zug endlich abfuhr. Das Rattern der Gleise lullte mich ein, meine Unruhe verflog, und nach etwa der Hälfte der Strecke wagte ich mich vorsichtig in den Gang hinaus. Kein Mensch war zu sehen. Mit ein paar schnellen Schritten war ich auf der Toilette und blickte das erste Mal seit acht Tagen in einen Spiegel.
    Ein fremdes, ebenso erschreckendes wie faszinierendes Wesen sah mich an. Schmutzig, bleich, mit hohen Wangenknochen. Es war, als hätte ein Bildhauer meine Gesichtszüge nachträglich bearbeitet und versucht, ihnen mit wütender Intensität mehr Ausdruck zu verleihen. Alles wirkte schärfer, kantiger. Hä sslich war es nicht, aber in seiner Dynamik und Härte ungewohnt. Am seltsamsten aber waren die Augen mit ihren äußerst merkwürdigen Pupillen. Sie waren leicht oval und von eigentümlichem Blau. »Nachtblau«, schoss es mir durch den Kopf. Aber schon im nächsten Moment zogen winzige rote Schleier durch sie hindurch, als ob sie einen kleinen, eigenständigen Mikrokosmos bildeten. Meine Lippen wirkten voller. Ich zog sie mit beiden Zeigefingern zurück und betrachtete die Eckzähne. Sie waren nur ein kleines Stückchen länger als früher, aber sehr spitz.
    Ich wusch mir das Gesicht und die Hände und säuberte mein Haar, so gut es in dem winzigen Waschbecken ging. Dann zog ich mich aus und betrachtete meinen Körper. Er wirkte, als hätte ich in den letzten Monaten intensiv Sport getrieben, jedoch ohne Muskelpakete aufzubauen. Arme, Beine und Torso strahlten eine fast sinnliche Drahtigkeit aus. Ich mu sste unwillkürlich lächeln. So hatte ich immer aussehen wollen, aber nie die Disziplin aufgebracht, das dafür nötige Trainingsprogramm zu absolvieren. Jetzt, in meinem neuen, unheimlichen Leben, war ich am Ziel meiner heimlichen Wünsche. Für einen verdammt hohen Preis. Ich würde andere Menschen töten müssen, um diesen Körper zu befriedigen.
    Ich verdrängte den Gedanken, säuberte geduldig meine Kleidung und

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