0006 - Ich stürmte das graue Haus
»Hallo«, sagte die Stimme am anderen Ende der Leitung, eine dünne, nervöse Stimme, »spreche ich mit dem Chef des FBI?«
Ich befand mich im Zimmer von Mr. High. Ich war hineingegangen, um einen Bericht zurückzubringen, und ich hatte abgehoben, als das Telefon klingelte. Mr. High war, soviel ich wußte, zu einer Sitzung der Stadtverwaltung New York. Er hatte eine Menge solchen bürokratischen Krempels zu erledigen.
»No«, antwortete ich, »Sie sprechen mit dem FBI-Beamten Cotton.«
»Warum hat man mich nicht mit dem Chef verbunden?« nörgelte die Stimme weinerlich. »Ich habe ausdrücklich den Chef verlangt.«
»Sie sind mit dem Zimmer des Chefs verbunden worden«, sagte ich, »aber Mr. High ist im Augenblick abwesend.«
»Sind Sie sein Stellvertreter?«
»Nein, eigentlich nicht.«
»Wann ist Mr. High zu erreichen?« fragte der Anrufer. Ich hörte, daß die Stimme flatterte.
»Nicht vor sieben Uhr am Abend.«
Es waren nur noch Atemzüge zu hören — kurze erregte Atemstöße.
»Hallo, sind Sie noch da?« fragte ich.
Der Anrufer antwortete nicht, wenigstens nicht direkt. Ich hörte nur, wie er murmelte: »Das ist zu spät, viel zu spät.«
Es war der Stimme anzuhören, daß der Mann irgendwie in der Klemme saß. Ich sagte sehr vorsichtig: »Vielleicht kann ich Ihnen helfen, Sir. Bitte, worum handelt handelt es sich?«
»Nein, nein«, antwortete er heftig. »Sie sind nur ein Beamter. Sie müssen den Dienstweg einhalten. Sie werden Alarm schlagen.«
»Langsam, langsam«, stoppte ich ihn. »So schnell schlägt niemand Alarm. Und niemand ist bei uns solch ein Bürokrat, daß er unbedingt auf dem Dienstweg besteht.«
Wissen Sie, wir beim FBI gehen bei solchen Anrufen nicht gleich in Startstellung. Es kommt immer wieder vor, daß wir von Leuten, von sehr aufgeregten Leuten angerufen werden, die von uns die sofortige Festnahme ihres Nachbarn verlangen, weil er ihnen schon zweimal die Milch vor der Tür gestohlen haben soll.
Der Mann am anderen Ende der Leitung atmete immer noch heftig.
»Gut«, stieß er schließlich hervor, »ich werde es Ihnen sagen. Ich werde erpreßt.«
»Von wem?« fragte ich.
»Ich weiß nicht. Nein, das weiß ich nicht.«
»Gut, kommen Sie her und geben Sie Ihre Angaben zu Protokoll. Wir werden den Burschen schon fassen.«
»Nein«, sagte er schrill, »ich kann nicht zu Ihnen kommen. Ich würde Ihr Gebäude nie lebend erreichen. Er würde mich unterwegs töten, sobald er feststellt, wohin ich mich begebe.«
»Okay, dann kommen wir zu Ihnen. Wie heißen Sie, und wie lautet Ihre Adresse?«
»Nein«, flüsterte er hastig, »das geht auch nicht. Ich würde getötet werden, sobald Sie mich verlassen haben.«
Mir ging langsam die Geduld aus. Sicherlich handelte es sich um einen hoffnungslosen Hysteriker, der da am anderen Ende der Strippe zappelte.
»Nennen Sie mir wenigstens Ihren Namen.«
»Nein!« Das klang wie ein Schrei.
»Hören Sie«, sagte ich so ruhig, wie ich konnte, »wie sollen wir Ihnen helfen, wenn Sie uns weder Ihren Namen noch Ihre Adresse noch die näheren Umstände nennen wollen? Auf diese Art hat es keinen Zweck, weiterzureden.«
Ich dachte, er würde einhängen, aber das Geräusch seiner Atemzüge blieb in der Leitung.
»Gut, ich werde Ihnen die Umstände schildern. Ich werde seit langer Zeit, seit einem Jahr, erpreßt…«
»Warum sind Sie nicht früher zu uns gekommen?« unterbrach ich.
»Es — es hat seine Gründe. Ich zahlte, aber jetzt verlangt er von mir zehntausend Dollar, bis heute abend neun Uhr. Ich habe sie nicht. Ich kann sie nicht aufbringen. Mein Geschäft ist ruiniert. Es muß etwas geschehen. Darum wende ich mich an Sie, aber ich möchte im Dunkeln bleiben. Sie verstehen? Er hatte einen Grund, mich zu erpressen. Wenn sie es genau wissen wollen, ich habe mich strafbar gemacht. Es ist lange her, so gut wie vergessen. Ich habe Familie. Es wäre ein Zusammenbruch, den ich nicht überleben würde, wenn ich vor Gericht müßte. Aber wenn ich weiterhin zahle, so bedeutet das ebenfalls meinen Ruin. Bitte helfen Sie mir.«
Ich hatte ihn ruhig aussprechen lassen. Ich fühlte, es war etwas hinter dieser verworrenen Geschichte, die er mir erzählte.
»Wir werden Ihnen helfen«, antwortete ich sachlich. »Aber dazu ist es wirklich notwendig, daß wir einander sprechen. Wann kann ich Sie sehen?«
»Ich — ich möchte nicht mit Ihnen Zusammentreffen.«
Ich überlegte einen Augenblick.
»Also gut«, sagte ich dann, »ich gebe Ihnen mein
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