Nachtblüten
Papier.
»Danke, mein Lieber. Capitano, da haben Sie die Liste mit den gestohlenen Sachen, keine besonderen Wertgegenstände, wie Sie sehen, aber mein Anwalt wird sich mit der Versicherung in Verbindung setzen, und die verlangt eine Kopie unserer Meldung an Sie.«
»Natürlich.« Der Capitano nahm die Liste entgegen und reichte sie unbesehen an den Maresciallo weiter. »Maresciallo Guarnaccia wird sich um alles kümmern. Er wird diese Liste auf eins unserer Anzeigenformulare übertragen und Ihnen zur Unterschrift vorlegen. Selbstverständlich werden wir die Liste auch an alle Florentiner Antiquitätenhändler verteilen, aber Sie wissen vermutlich, daß ich Ihnen keine großen Hoffnungen machen kann…«
»O ja, das ist mir völlig klar, und es tut mir leid, daß ich wegen der leidigen Versicherung Ihre Zeit in Anspruch nehmen mußte. Ich erwarte auch gar nicht, daß ich etwas von den gestohlenen Sachen wiederbekomme. Und obwohl ich das bedauere, da das Silber aus dem Schlafzimmer meines Vaters stammte, das seit seinem Tode unverändert geblieben ist, gilt meine größte Sorge doch dem armen Jungen, Giorgio.«
»Wie meinen Sie?«
»Ich wäre in der Tat untröstlich, und mit Ihren Mitteln, Sichern der Fingerspuren und so weiter, läßt sich doch gewiß beweisen…«
»Bitte, Sie dürfen sich nicht aufregen«, unterbrach Porteous. »Der Junge hat mir versichert…«
»Genau wie Alex, der hat uns auch geschworen, er sei unschuldig, und ich bin immer noch nicht überzeugt, daß wir damals richtig gehandelt haben. Ich kann nicht zulassen, daß Giorgio Unrecht geschieht…«
Porteous legte dem Älteren eine Hand auf die Schulter und wiederholte leise: »Sie wissen doch, daß Sie sich nicht aufregen dürfen.«
»Ja, ich weiß.«
»Der Maresciallo muß mit all Ihren Angestellten sprechen, Sir Christopher, diesen Giorgio eingeschlossen. Ist er der Nachfolger des Jungen, den Sie nach dem großen Raub damals entlassen haben?«
»Nein. O nein, seit Alex hatten wir schon eine ganze Reihe von… Giorgio ist erst seit kurzem hier, erst seit ein paar Monaten. Ein reizender Junge. Sie werden doch nicht…? Ich meine…«
»Der Maresciallo wird ihn genauso verhören wie Ihre übrigen Angestellten.« Der Capitano erhob sich. »Sir Christopher, bitte glauben Sie mir, wenn ich sage, daß ich Ihre Prioritäten sehr wohl nachvollziehen kann. Sie wollen sich in Ihrem eigenen Hause sicher fühlen, sich auf die Loyalität Ihres Personals verlassen können, und es ist sehr begreiflich, daß Sie darauf mehr Wert legen als auf die Wiederbeschaffung von ein paar Silberwaren. Ich würde mir jetzt gern alle Eingänge zum Haus ansehen und dann den Raum oder die Räume, in denen die Diebstähle stattgefunden haben. Der Maresciallo wird Ihnen unterdessen unser weiteres Vorgehen erläutern. Und ich bin sicher, er kann Sie davon überzeugen, daß Sie keinen Grund zur Besorgnis haben.«
Dem Maresciallo sank der Mut. Maestrangelo lebte in dem unerschütterlichen Glauben, er, Guarnaccia, könne gut mit Menschen umgehen und sie zum Reden bringen. Was in diesem Falle weiß Gott unsinnig war. Warum der Capitano sich persönlich herbemüht hatte, war ihm immer noch ein Rätsel. Auf der Fahrt hierher hatte er sich nicht danach zu fragen getraut, aber wenn es sich um die übliche Geschichte handelte: Druck von oben, besondere Kulanz gegenüber einem namhaften ausländischen Mitbürger, dann sollte doch wohl der Capitano hier sitzen und höflich Konversation machen, während der Maresciallo sich um die Ermittlungen kümmerte, Türen und Schlösser auf gewaltsames Eindringen überprüfte, das Personal verhörte und so weiter. Statt dessen erwartete der Chef von ihm, daß er einen Millionär tröstete, dem man ein paar Nippsachen gestohlen hatte – einfach lächerlich! Außerdem, um jemanden aus der Reserve zu locken, mußte man sich langsam an die Leute herantasten, mit ihnen über alltägliche Dinge plaudern, bis man oder vielmehr der Gesprächspartner den rechten Einstieg fand. Die Leute, die zu ihm kamen, hatten schließlich das Bedürfnis sich auszusprechen. Aber wie in Gottes Namen sollte er mit diesem Menschen eine zwanglose Unterhaltung beginnen? Was konnte der schon für alltägliche Sorgen haben?
In seiner Not verschanzte sich der Maresciallo hinter dienstlichen Themen, erklärte, daß man von den Angestellten Fingerabdrücke nehmen müsse – nur, um sie als Verdächtige ausschließen zu können –, daß die Spurensicherung das Haus auch
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