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Nachtblüten

Nachtblüten

Titel: Nachtblüten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
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Garten beschrieb, wurde wieder zur teilnahmslosen Maske.
    Der Maresciallo erinnerte sich der Freudentränen in den Augen beider Eltern, als sie ihn zum ersten Mal in Uniform gesehen hatten, und zog es vor zu schweigen. Er lauschte den Grillen, dem Quaken der Frösche, dem Plätschern des Wassers. Sein Blick war unverwandt auf die Seerosen geheftet, als erwarte er, daß eine ihren Blütenkelch entfalte, und er versuchte sich vorzustellen, wie es wäre, an einem solchen Ort aufzuwachsen. Das einzige, was ihrer beider Kindheit gemeinsam hatte, waren die sengende Sonne und der Duft von Orangen und Zitronen.
    »Leben Ihre Eltern noch, Maresciallo?«
    »Nein, nein… Meine Mutter starb vor sechs Jahren, und mein Vater ist schon lange tot.«
    Sir Christopher schüttelte seufzend den Kopf. »Wir begreifen es immer zu spät, nicht wahr? Wie wir miteinander reden sollten, um Vergebung bitten, uns um Verständnis füreinander bemühen, alles ins reine bringen, bevor es zu spät ist. Dabei wäre es ganz einfach, aber uns fehlt die Einsicht in die Notwendigkeit. Mein Vater war selber mit seinen Eltern zerstritten und duldete nicht, daß man sie in seiner Gegenwart erwähnte. Ich weiß noch, wie ich ihn bei unserer ersten gemeinsamen Reise nach England über seine Heimat, seine Kindheit ausfragen wollte. Aber er antwortete nur: ›Mein Leben begann, als ich deine Mutter kennenlernte:‹ Ob auch er seine Eltern enttäuscht hat, so wie ich… Ich hätte nie so sein können, wie mein Vater sich das gewünscht hat – das englische Internat, der Leistungssport, die Fuchsjagd…«
    »Nein, gewiß nicht, bei Ihrer angegriffenen Gesundheit…«
    »Wenn Sie wüßten, wie ich Gott gedankt habe für meine angegriffene Gesundheit, die mich davor bewahrte, dieses geliebte Zuhause gegen so ein gräßliches Knabeninternat eintauschen zu müssen, und die dem armen grauen Pony meine lustlosen Reitübungen ersparte. Eine Zeitlang schickte man mich mit kleinen Leckerbissen hinunter auf die Koppel hinter dem Olivenhain, wo ich das Pony füttern sollte. Ich paßte immer gut auf, damit niemand sah, wie ich das Zeug über den Zaun warf, um dem Tier nur ja nicht zu nahe zu kommen. Dann setzte ich mich unter einen Olivenbaum, zog mein Buch aus der Tasche und las ein Stündchen, während das Pony zuerst die Mohren oder den Apfel verschlang und dann wieder friedlich vor sich hin graste. Was wohl am Ende aus dem Tier geworden sein mag? Wahrscheinlich wurde es verkauft. Und warum wollte mein Vater mir mit aller Gewalt eine englische Lebensart anerziehen? Meine gute Mutter tat, was in ihrer Macht stand, um mich zu beschützen, ohne daß sie ihm je widersprochen hätte. Zumindest, bis sie aufgab und sich so tief in sich selbst zurückzog, daß niemand, nicht einmal ich, sie mehr erreichen konnte.«
    Sir Christophers Kopf ruhte an der hohen Rückenlehne seines Korbsessels. Seine Augen waren geschlossen. »Maresciallo, ich muß mich bei Ihnen bedanken.«
    Was um alles in der Welt meinte er?
    »Ja, ich danke Ihnen wirklich sehr, denn aus irgendeinem Grund kann ich zu Ihnen endlich wieder über diesen Garten sprechen und über die Erinnerungen, die er in mir weckt. Dabei habe ich ihn jahrelang gemieden. Meine Mutter wandte sich von ihm ab und dann… Nein, dahinter steckt leider keine romantische Geschichte. Mein Mutter starb in einer Klinik. An Krebs. Dies nur für den Fall, daß Ihnen irgendein dramatisches Szenario vorgeschwebt haben sollte.«
    »Nein«, antwortete der Maresciallo wahrheitsgemäß. Er gab sich niemals irgendwelchen abenteuerlichen Vorstellungen hin.
    »Man hat Ihnen vermutlich gesagt, ich sei sehr krank, aber zu stolz, es zuzugeben.«
    »So ungefähr.«
    »Sie sind ein aufmerksamer Beobachter. Und mir scheint, Sie haben auch sehr viel Menschenkenntnis. Jedenfalls ist das mein Eindruck. Was soll ich Ihnen sagen? Ich weiß, daß ich nicht mehr lange zu leben habe, und im Gegensatz zu einem Ertrinkenden sehe ich mein Leben sehr langsam vor mir Revue passieren. Mein Anwalt besucht mich jeden Tag, und jedesmal sehe ich mich außerstande, ihm die endgültige Fassung meines Testaments zu diktieren. So ein letzter Wille verfügt ja nicht nur über den Besitz eines Menschen, sondern über sein ganzes Leben. Ich nehme an, Sie sind verheiratet, haben Kinder?«
    »Ja. Ja, ganz recht.«
    »Dann ist Ihnen Ihr Skript in weiten Teilen vorgegeben. Aber ich, der ich keine Erben habe, muß mir das meine erst erfinden. Freilich habe ich Gott sei Dank ein paar

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