Nachtblüten
von außen untersuchen würde und welche Vorkehrungen zu treffen seien für den Fall, daß es sich hier nur um einen Probelauf für einen größeren Coup handele, den die Täter planten, sobald die Aufregung sich gelegt hatte.
Als ihm nichts mehr einfiel und der Capitano immer noch auf sich warten ließ, kehrte er in Gedanken wieder zu der Frage zurück, wie wohl die alltäglichen Probleme eines reichen Mannes aussehen mochten. Suchend blickte er sich um und hoffte auf eine Eingebung, mied jedoch das Bild auf der Staffelei, weil er darüber bestimmt das Falsche sagen würde. Es kam ihm ziemlich dilettantisch vor, aber das lag vermutlich daran, daß er an die Gemälde in den Galerien des Palazzo Pitti gewöhnt war und nichts von moderner Malerei verstand. Er wandte sich dem Garten zu, ein Terrain, auf dem er sich wesentlich sicherer fühlte. Weiße und hellrosa Geranien entfalteten ihre Blütenpracht in Terrakottavasen und –urnen. Von den weißen Kletterrosen, die sich an Mauern und Baumstämmen emporrankten, waren einige wenige noch nicht verblüht. Niedrige Hecken mit geometrischem Formschnitt umgaben verschiedenste Sträucher und helle Rabatten mit winzigen, unscheinbar wirkenden Blumen.
»Ihr Garten ist sehr gepflegt.« Nun, auf die Hecken traf das immerhin zu. Ansonsten schien ziemlicher Wildwuchs zu herrschen, besonders, da aus jedem Spalt in den Mauern und Plattenwegen irgendwelche Pflanzen oder irgendwelches Unkraut sproß. Dabei hatte der Mann doch sicher ein Heer von Gärtnern. Hätte er nur den Mund gehalten.
»Ja, die Anlagen sind sehr schön, und was speziell diesen Garten angeht, so habe ich allen Grund, dankbar dafür zu sein, denn ich habe ihn viele Jahre vernachlässigt. Ansonsten verbringe ich mindestens eine Stunde am Tag mit den Gärtnern. Aber dieser Garten… die Leute haben ihn geliebt und umhegt und nichts darin geändert, höchstens ein, zwei Skulpturen fortgeschafft, die restaurierungsbedürftig waren. Ich weiß, daß sie es nicht für mich tun, aber ich bin trotzdem dankbar.«
Der Maresciallo verstand nichts von alledem, aber da er offensichtlich auf ein Thema gestoßen war, das sein Gegenüber interessierte, suchte er nach einem weiteren Anhaltspunkt, um das Gespräch über den Garten in Gang zu halten.
Im Schutz der dunklen Brillengläser schweiften seine Augen forschend umher und trafen verblüfft auf ein vertrautes Bild, das für seine Zwecke wie gerufen kam. Unter den Skulpturen befand sich dort unten links die Statue einer jungen Magd, aus deren Wasserkrug sich ein unerschöpfliches Rinnsal in ein Becken zu ihren Füßen ergoß.
»Ist das eine Kopie der Statue aus den Boboli-Gärten?«
Sir Christopher folgte seinem Blick und lächelte.
»Nein, nein, aber Ihr Gedächtnis hat Sie nicht getrogen. Die Statue in den Boboli-Gärten ist eine RenaissanceNachbildung dieses römischen Originals aus dem zweiten Jahrhundert nach Christus.«
»Grundgütiger…« Nun, er hatte sein Bestes gegeben. Der Capitano hatte kein Recht, ihn in ein solches Dilemma zu stürzen. Er würde sich nicht noch einmal zum Narren machen, und wenn sie eine geschlagene Stunde stumm beieinandersitzen und den Grillen lauschen mußten.
»Sie müssen die Boboli-Gärten gut kennen, Maresciallo, wenn Ihnen die Ähnlichkeit zwischen den beiden Statuen so rasch aufgefallen ist.«
»Recht gut, ja. Meine Wache liegt im linken Flügel des Palazzo Pitti. Zu dem Viertel am linken Arnoufer, das ich in Obhut habe, gehört auch dieser Hügel.«
»Dann stehe ich ja auch unter Ihrer Obhut. Freut mich, das zu hören. Und sind wir eine brave kleine Gemeinde in diesem Ihrem Viertel? Ich komme heutzutage nur noch so selten hinunter in die Stadt, daß ich gar nicht mehr auf dem laufenden bin. Haben Sie oft mit Schwerverbrechern zu tun? Von hier oben wirkt Florenz immer so friedlich.«
Das stimmte. Kein Verkehrslärm und keine Abgase drangen hier herauf. Die engen, von Mopeds verstopften Gassen, verwitterte Fensterläden, die Prostituierten im Park, der Hundekot auf den Straßen, Pizzareste in fettigem Papier, Coladosen und Spritzen im Rinnstein – all das schmorte unsichtbar unter einer abgasgeschwängerten Dunstglocke, über die nur das heitere Mosaik aus roten und ockerfarbenen Dächern, Kuppeln und Türmen hinausragte.
»Schwerverbrecher? Schon auch, aber die meiste Zeit kümmere ich mich um…« Er merkte, daß Sir Christopher ihm seine Befangenheit nehmen wollte, und auch wenn ihn diese Umkehrung der gewohnten
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