Nachtblüten
Rollenverhältnisse überraschte, so war er doch dankbar dafür. »Mein größter Feind ist, offen gestanden, die Hitze, und wenn man obendrein noch etwas übergewichtig…« Hätte er das nicht sagen sollen? Schließlich war Sir Christopher… »Und bestimmt haben Sie wie wir alle den Vorsatz, demnächst eine Fastenkur zu machen.« Und lächelnd setzte er hinzu: »Der Triumph der Hoffnung über die Erfahrung.«
Ein gedämpftes Platschen unterbrach ihr Gespräch, und auf der Oberfläche des Teiches vor ihnen bildeten sich lauter kreisförmige Wellen.
»Die Frösche erwachen zu ihrer Abendmahlzeit. Ich liebe diesen Teich schon seit frühester Kindheit, als ich nur in Begleitung einer Kinderfrau in seine Nähe durfte. Einmal hatte ich eine, die erzählte mir, aus den Knospen der Seerosen würden Elfen und Feen geboren und wenn ich nur hübsch geduldig wäre und warten würde, bis einer der Blütenkelche sich entfalte, dann könne ich mit eigenen Augen sehen, wie so ein kleines Undinchen sich gähnend aufrichte und davonflöge. Ich hatte keine Ahnung, daß das nur einer ihrer vielen Tricks war, um mich vom übermütigen Spielen und Herumtollen abzuhalten. Ich hatte nämlich rheumatisches Fieber, wissen Sie. Das greift die Herzklappen an. Nun, ihr Märchen tat seine Wirkung; stundenlang saß ich mucksmäuschenstill hier am Teich, und Seerosen haben für mich immer noch etwas Wunderbares. Es ist zwar schade, daß der Springbrunnen nur so schwach vor sich hin tröpfelt, doch die Seerosen vertragen nun mal keinen lebhaften Wellengang.«
»Und die Mücken stören Sie nicht?«
»Ach, nein. Um die kümmern sich schon die Frösche, und die kleinen Fische dort, sehen Sie, die fressen die Larven. Das war hier übrigens der Garten meiner Mutter. Wie Sie wissen, gehört zu jeder großen Parkanlage mindestens ein Geheimgarten. Wir haben zwei davon, aber dieser war ihr der liebste. Die architektonischen Elemente und die Skulpturen sind noch original, aber die Blumen hat sie ausgewählt.«
Wobei sie in den Augen des Maresciallos keine glückliche Hand bewiesen hatte. Zwar wehten ihm herrliche Düfte entgegen, aber er bevorzugte farbenfrohe Gärten, und hier blühte alles, was der Julihitze trotzte, weiß oder so blaß und matt, daß es aufs gleiche hinauskam. Von irgendwoher roch es nach Lavendel, aber als er die Lavendelbüsche entdeckt hatte, waren auch die weiß. Sehr merkwürdig, diese Auswahl. »Sehr hübsch«, murmelte er höflich. »Weiß muß ihre Lieblingsfarbe gewesen sein…«
»Ah, ja, Sie wundern sich wohl über dieses monochrome Arrangement. Sie sind ein sehr aufmerksamer Beobachter, nicht wahr? Ich würde Ihnen diesen Garten gern so zeigen, wie man ihn sehen sollte. Meine Mutter nannte ihn ihren Nachtgarten. Seine Schönheit entfaltet sich erst bei Einbruch der Dämmerung. Auf der Terrasse dort oben hat meine Mutter früher, so in den fünfziger Jahren, Abendgesellschaften gegeben. Sehen Sie den überwachsenen Torbogen dort in der Mitte der rückwärtigen Mauer? Da wurden die Gäste hereingeführt, entweder durch eine Glyzinienlaube direkt von der Einfahrt her, oder über einen mit Kletterrosen überdachten Pfad von Mutters Salon heraus. Ich weiß, Sie sind über eine Abkürzung vom Küchengarten aus gekommen. Dort hinten gibt es weiter links noch einen Durchgang, den Sie von hier aus nicht sehen können und der direkt zum Küchentrakt führt. Die Tafel war hufeisenförmig angeordnet, und alle saßen hinter dem Tisch, wegen der Aussicht, verstehen Sie? Und wenn dann der Mond aufging, dann bewunderte man in seinem silbrigen Licht, eingerahmt von den Zypressen zu beiden Seiten der Balustrade, Florenz bei Nacht. Nun werden Sie auch die Blumenwahl verstehen.«
»Sie leuchten im Dunkeln?«
»Ja, aber es sind auch Nachtgewächse darunter, die erst mit Einbruch der Dämmerung ihren Duft entfalten.«
»Ihre Mutter muß sehr phantasievoll gewesen sein.«
»Sie war ein wunderbarer Mensch. Sie hieß Rose und war ohne Frage die schönste Frau, die ich je gesehen habe. Sie glauben, ich sage das, weil sie meine Mutter war, aber wenn Sie ins Haus zurückkommen, dann schauen Sie sich ihr Porträt im großen Saal an. Natürlich hängt auch ein Bild meines Vaters dort… Ich glaube – und in letzter Zeit habe ich fast täglich darüber nachgedacht –, das Schicksal hat es so bestimmt, daß wir alle einen Elternteil enttäuschen…« Er verstummte, und sein blasses Gesicht, das sich zusehends belebt hatte, während er den
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