Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)
weiß, dass ich meinen Worten Nachdruck verleihen muss. Ich lege dich ihr in die Arme und gemeinsam wickeln wir dich in die Decke. Glück gehabt, kleiner Mann. Ich erzähle ihr etwas von Unterkühlung und Überanstrengung. Da deine Kleidung klamm ist, nimmt sie mir die Geschichte ab. Meine Ausstrahlung bei diesen Worten erzielt das von mir gewünschte Ergebnis. Gekonnt ist eben gekonnt.
Auch mein Auftreten überzeugt sie schnell, so dass sich ihr Argwohn und ihre Zweifel an mir legen. Gut für sie. Mittlerweile ist eine andere Missionsmitarbeiterin dazugekommen und erklärt, dass die Eltern informiert wurden. Diese hatten kurz vor unserem Eintreffen bei der Mission ihre Telefonnummern hinterlegt und wollten sich gerade an die Polizei wenden. Na, da habe ich ja nochmal Glück gehabt.
Eigentlich würde ich die Sache gerne auf sich beruhen lassen, denn es sind jetzt schon zu viele Menschen involviert. Aber das geht leider nicht. Die zweite Missionsmitarbeiterin will mich unbedingt als Retterin den herbeigeeilten und nun schon wartenden Eltern vorstellen. Widerwillig lasse ich mich zu ihnen bringen. Beide warten im Vorraum der Mission und Mutti nippt am Glühwein. Das sind sie also, deine Eltern. Interessant.
Beide in Nerz und gutes Tuch gekleidet. Deine Mutter ist mit Goldschmuck behängt wie ein Weihnachtsbaum und dein Vater raucht teure Zigarren. Daddy, Daddy, Daddy – hier herrscht doch Rauchverbot. Ah ja, noch eine junge Frau ist bei ihnen. Unauffälliger gekleidet und mit vom Weinen verwischtem Make-up. Das ist doch Juanita, dein Kindermädchen, oder? Sie drehen sich alle drei zu mir um. Bingo. Ich hatte also recht mit meiner Vermutung.
Deine Eltern sind überglücklich dich wiederzuhaben. Eine ganz rührende Szene, wirklich. Applaus für Mommy und Daddy, ganz zu schweigen von der jungen Frau, die einen seriösen Weinkrampf bekommt und Gott auf Knien für deine Rettung dankt. Wahrscheinlich wäre sie zur Rechenschaft gezogen worden. W I D E R L I C H!
Ich hätte da ein paar Neuigkeiten für dich, Lady, und die gibt’s auch gratis: „The Person you have called is temporarily not available …“. Ihr Problem – ich zucke mit den Schultern und wende mich ab, denn mich zieht es hinaus. Außerdem werde ich hier wohl nicht mehr gebraucht, also gehe ich. Eine Hand fällt schwer auf meine Schulter und löst den altbekannten Adrenalinrausch aus. Gemischt mit deinem Blut gibt es dem Ganzen einen gesteigerten Kick.
Ich bin kampfbereit und drehe mich dennoch äußerlich gelassen um. Dein Daddy lächelt mich an. Die Zigarre in seinem Mund qualmt unaufhörlich.
„ Ja?“
Er drückt mir ein Bündel Geldscheine in die Hand. Seine Art, mir „Danke“ zu sagen. Ich werfe einen kurzen Blick nach unten, aber da alle Dollarscheine gleich aussehen, kann ich die die Summe nicht abschätzen. Dennoch, es ist vielleicht ein Dutzend. Wir werden sehen. Ich bin wenigstens so höflich nicht gleich nachzuzählen, obwohl die Verlockung groß ist.
Damit ist wohl dein Kakao bezahlt, kleiner Mann, und mit Glück das Taxi, das mich morgen zum Kai bringen wird um das Land zu verlassen. Ich stecke das Bündel ein und dabei lacht mir eine 50 entgegen. Also doch ein guter Schnitt und, wenn es alles 50er sind, ein nettes Taschengeld. Soll ich das noch zur Bank bringen?
Ich nicke deinem Daddy und seinem smarten Lächeln zu. Er zwinkert zurück und in seinem Blick liegt eine versteckte Frage. Hallo?! Deine Frau steht keine zwei Meter neben dir und dein Sohn ist beinahe gestorben. Aber Daddys Gedanken sind ganz woanders. Er hält sich für den größten Lebemann der Upper Eastside. Zumindest in seiner Vorstellung. Ich könnte ihm einen kleinen Dämpfer verpassen, aber wozu die Mühe? Ich bin satt und muss noch ein paar Kleinigkeiten erledigen.
Also gehe ich mit keiner Regung meines Körpers auf seine Frage ein und sein Lächeln erlischt unmerklich. Pech gehabt! Oh Daddy, noch kannst du zurück. Oder soll ich dich mal smart anlächeln und dir das Gesicht eines echten Raubtieres zeigen? Oder noch besser? Dich gleich hier vor deiner Frau bloßstellen? Eine amüsante Vorstellung, doch ich verzichte darauf. Daddy hält immer noch meine Hand fest und will wenigstens meinen Namen wissen.
Na gut – ich lächele ihn an. „C.J.“ ... <<
27.12.
1. Schwarzweiß
Luxus, Luxus, Luxus – ich bin von purem Luxus umgeben. Es gibt einfach kein anderes Wort. Die Suiten hatten auf den Hochglanzbildern des Prospekts
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