Nachtengel
und behauptete, es gehe nicht schnell genug, die Zimmer würden nicht rechtzeitig fertig, und sie solle sich beeilen. Anna murmelte Mrs. Frys ewige Litanei vor sich hin, während sie den Flur sauber machte: »Bist du noch nicht weiter, Anna? Los, beeil dich, Anna!« Sie war auf der zweiten Hintertreppe. Auf dieser Seite des Hotels gab es drei Zimmer, es war ein anderer Teil als der mit der Bar und dem Restaurant. Dieser hintere Bereich des Gebäudes ging auf den Garten – eigentlich eher ein Hof – hinaus, wo die Mülleimer standen und ein paar Büsche den Müll aufzuhalten versuchten, der in die kleine Gasse hinter den Reihenhäusern geworfen wurde. Anna nahm den Wischeimer, trug ihn die schmale Treppe hinunter und stieß dabei an die Seitenwände. Hier unten roch es immer muffig und feucht, ein schwacher, aber unverwechselbarer Geruch.
Das erste Zimmer war ein totales Chaos. Anna verzog das Gesicht. Es roch ungelüftet und nach abgestandenem Alkohol, Zigarettenrauch, Schweiß und altem Parfüm. Eine leere Whiskyflasche stand beim Papierkorb auf dem Boden, und neben dem Bett war ein Glas mit einer Zigarettenkippe, die sich aufzulösen begann. Der Aschenbecher war voll. Auf dem Nachttisch lag ein benutztes Kondom. Sie zog neue Handschuhe aus der Tasche ihres Anzugs. Zur Zeit brachte sie ihre eigenen mit. Wenn Anna Mrs. Fry sagte, dass sie neue Handschuhe brauche, sagte sie immer »Ach ja«, aber irgendwie wurden sie nie rechtzeitig nachbestellt. Sie schaltete das Licht im Bad an. Es war besser, gleich über das Schlimmste Bescheid zu wissen.
Sie warf das schmutzige Bettzeug und die Handtücher auf den Boden im Flur. Den breiten Wäschekarren konnte sie nicht über die schmale Treppe hinunterbringen. Sie würde den Haufen aufsammeln und ihn hochtragen müssen. Sie sah sich die Handtücher an und verzog angeekelt das Gesicht. Das zweite Zimmer war nicht so schlimm. Der Mief wurde von Seifen- und Zahnpastageruch überlagert. Das Bett war zerwühlt, als sei der Schlafende hastig aus dem Bett aufgesprungen. Auf dem Teppich war Puder und der Abdruck von einem Fuß. Aber das Badezimmer war in Ordnung, die Toilette gespült, die Badematte feucht, die Handtücher ordentlich auf die Stange gehängt.
Sie sah auf die Uhr. Sie hatte Zeit aufgeholt. Die Zimmer sollten bis um zehn Uhr fertig sein, sonst würde Mrs. Fry einiges zu sagen haben. Aber sie würde Anna nicht wegschicken. Fünf Monate war es Anna schon gelungen, diese Arbeit zu behalten. Sie beklagte sich bei niemandem wegen der miserablen Bezahlung, war zuverlässig und hatte in der ganzen Zeit, die sie in dem Hotel arbeitete, nie einen Tag freigehabt. Niemals kam sie zu spät. Sie störte die Gäste nicht, machte ihre Arbeit immer ordentlich und wurde rechtzeitig fertig. Über die Zimmer, die Anna geputzt hatte, gab es keine Klagen.
Hier unten im Keller konnte sie rauchen und eine Pause machen. Der Ventilator des fensterlosen Badezimmers dröhnte. Sie holte ihre Zigaretten und das Feuerzeug aus der Tasche ihres Anzugs. Fünf Zigaretten pro Tag waren ihre Ration. Sie zündete eine an, lehnte sich an die Wand des Badezimmers und blies die Luft zum Ventilator hinauf. Sie hasste den Rauchgeruch.
Das letzte Zimmer im Keller war eng und ungemütlich. Sie drückte sich an der geschlossenen Badezimmertür vorbei, stolperte über etwas und warf einen Blick in das Zimmer. Der Schrank war klein und an die schmale hintere Wand neben die Glastüren gezwängt, die auf den Hof hinausgingen. Die Stores vor den Türen klebten an den feuchten, beschlagenen Glasscheiben. Die Frisierkommode stand an der langen Wand gegenüber dem Bett. Der Gang dazwischen war so schmal, dass Anna sich zur Seite drehen musste, um durchzukommen. Das Zimmer war … sie sah sich um. Das Bett schien nicht benutzt zu sein, aber Kleider waren darauf verstreut, Jacke und Rock einer Frau. Ein Schuh lag vor der Doppeltür, der andere im schmalen Eingangsbereich. Sie war darauf getreten, als sie hereinkam. Der Gast war noch nicht abgereist.
Anna zog das Bett ab und warf das saubere Bettzeug auf die Matratze. Die Betten mussten frisch bezogen werden, egal, ob sie benutzt waren oder nicht. Sie hob die Schuhe auf, stellte sie unten in den Kleiderschrank und hängte Rock und Jacke auf einen Bügel. Vielleicht gehörte die Frau, die hier übernachtet hatte, zu den wenigen Gästen, die länger als eine Nacht blieben. In diesem Zimmer war es kalt, ganz anders als in den anderen Zimmern im Kellergeschoss mit ihrer
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