Nachtengel
würde. Peter Cauldwell würde sich über jede Gelegenheit freuen, sie in die Pfanne zu hauen. Die Besprechung sollte um halb zehn beginnen. Plötzlich spürte Roz eine ungewohnte Panik aufsteigen.
Verdammt. Sie holte zweimal tief Luft, ignorierte ihre Nervosität und zwang sich, nicht weiter an alle möglichen Katastrophen zu denken. Es brachte nichts, sich Sorgen zu machen, dass etwas schief gehen könnte, denn alles würde gut laufen. Joanna würde da sein. Hätte es irgendwelche Probleme gegeben, hätte sie sich bei Roz gemeldet. Dies wiederholte Roz immer wieder wie ein Mantra und versuchte, sich zu entspannen.
Überall glitzerte der Raureif. Jenseits der Universität und der Weststadt erstreckte sich der Peak District in der Wintersonne. Hoch oben auf dem Stanage Edge, wo der graue Stein sich vom dunklen Torf und den vertrockneten Farnen abhob, glänzte der Reif und machte den Erdboden tückisch glatt. Marienkäferchen waren rotschwarz im Eis eingeschlossen, eine gefrorene Erinnerung an den Sommer. Die Straße führte über den Bergkamm und an den Staudämmen bei Ladybower und Derwent vorbei und stieg dann bis zum Pass hinauf an. Die hohen Lagen des Kinder Scout und Bleaklow sahen in diesem Licht fast harmlos aus, ihre trügerischen Gipfel verführten den Gelegenheitswanderer, ein bisschen zu weit zu gehen, ein bisschen zu hoch zu steigen.
Der Verkehr auf der Straße zum Snake Pass kam nur langsam voran. Es war eine ungünstige Mischung aus Berufsverkehr vom westlichen Sheffield her und den Urlaubern, die gemütlich fahren, die Landschaft genießen, vielleicht sogar das Auto abstellen und ein bisschen wandern wollten. Weiter oben lichtete sich der Verkehr, die Landschaft wurde monotoner und die Berge bedrohlicher. Wanderer, die von Doctor's Gate aus den Bleaklow ersteigen wollten, sahen einen Wagen, der an der Seite in den Graben gefahren war. Es war ein alter, roter, ziemlich mitgenommener Fiesta. Vielleicht gehörte er einem begeisterten Wanderer, der schon so früh in den Bergen war.
Hull, Freitag, 8 Uhr
Die dunklen Wolken hingen niedrig und drohten mit Regen oder Schnee. Die Straße war jetzt belebter, denn der Berufsverkehr wurde stärker. Das Blenheim Hotel, an der preiswerteren Seite des Marktplatzes, bestand aus einer Anzahl edwardianischer Reihenhäuser, deren Wohnungen vor Jahren umgebaut worden waren. Es war ein kleines Haus, das von außen eng und schmal wirkte, innen aber ein endloses Labyrinth war. Hinter jeder Tür lag noch eine weitere. Auf jedes Treppenhaus folgte das nächste. Die Korridore bekamen kein Tageslicht und waren nur schwach beleuchtet. Vielleicht war dies zufällig oder aus Gründen der Sparsamkeit so, aber es war günstig. Die düstere Beleuchtung verbarg bis zu einem gewissen Grad die abgewetzten und fleckigen Teppiche, die abgeplatzte Farbe, Schmutzflecken und die sich ablösenden Tapeten an den Wänden.
Die Putzfrau hatte schon mit ihrer Arbeit angefangen, als die letzten Gäste noch in dem Raum im Untergeschoss frühstückten, der auch als Bar genutzt wurde. Der Geruch von Bier und Zigaretten begrüßte die Gäste, wenn sie dem Schild ›Dining Room‹ folgten und zum Frühstück die schmale Treppe in der Eingangshalle hinuntergingen. Die Stufen waren für eine normale Treppe zu schmal, wahrscheinlich war es eine alte Hintertreppe aus den Tagen, als das Hotel noch ein Privathaus und die Gegend ein Wohngebiet der wohlhabenden Mittelschicht war.
Einige Gäste hatten zweifellos am Abend zuvor in diesem Raum gesessen, an der Bar gestanden oder sich einen Weg durch die Menge gebahnt, und der Biergeruch rief sicher Erinnerungen wach.
Kleine Packungen Frühstücksflocken und Krüge mit Orangensaft standen aufgereiht auf der Bar. Die Bedienung nahm am Tisch die Bestellungen entgegen und brachte dann Teller mit hellrosa Speck, schlaff und leicht ranzig riechend, matschigem Rührei und Würstchen, aus denen beim Einschneiden das Fett herauslief. Der Geruch nach Gebackenem überdeckte vorübergehend den nach Bier und Tabak.
Marys Mann hatte angerufen. Sie hatte am Abend zuvor einen Unfall gehabt. »Hatte bestimmt getrunken, würde mich nicht wundern«, hatte Mrs. Fry zu Anna gesagt. »Du wirst heute Vormittag allein zurechtkommen müssen.« Sie klang ungeduldig. Anna schaffte es immer. Sie war jung, und wenn man Arbeit so nötig wie sie brauchte, dann schaffte man es eben. Mrs. Fry wusste das. Also arbeitete Anna jetzt allein, aber die alte Hexe war schon wieder hinter ihr her
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