Nachtgefluester 01 - Der gefaehrliche Verehrer
daran zerren, bis …
Lieber Himmel!
Sie verwünschte sich, riss die Tür auf und jagte aus dem dampferfüllten Bad.
Derartige Tagträume waren lächerlich, ermahnte sie sich. Sie war nie eine Tagträumerin gewesen. Immer, immer hatte sie gewusst, wohin sie wollte und wie sie dorthin kam. Seit ihrer Kindheit hatte sie keine Zeit mit Fantasien verschwendet, die keine Verbindung zu Ehrgeiz oder Erfolg hatten.
Ganz sicher wollte sie nicht von einem Mann träumen, wie sehr sie sich auch zu ihm hingezogen fühlen mochte, wenn es absolut keine Möglichkeit gab, dass diese Tagträume angenehme Wirklichkeit wurden.
Sie wollte zu Bett gehen. Sie wollte ihre Gedanken abstellen. Und sie wollte beten, dass sie auch dieses Verlangen abstellen konnte, das in ihr fraß. Bevor sie ihre Tasche auf den Boden stellen konnte, sah sie das Glas neben dem Bett.
Es war ein langstieliges Kristallglas, gefüllt mit einer blassgoldenen Flüssigkeit. Sie kostete und schloss die Augen. Wein. Wundervoll, weich. Wahrscheinlich französisch. Sie drehte sich um und sah sich selbst in dem großen Drehspiegel in der Ecke.
Ihre Augen waren dunkel, ihre Haut erhitzt. Sie sah so weich, so nachgiebig, so anschmiegsam aus. Was macht er bloß mit mir, fragte sie sich. Und wieso funktioniert es?
Bevor sie ihre Meinung ändern konnte, schlüpfte sie in den dünnen Seidenmantel und machte sich auf die Suche nach Boyd.
Er las schon seit fast einer Stunde dieselbe Seite. Dachte dabei an sie. Verwünschte sie. Begehrte sie. Es hatte ihn seine ganze Selbstbeherrschung gekostet, diesen Wein neben ihr Bett zu stellen und das Zimmer zu verlassen, obwohl er sie träge in der Wanne plätschern hörte, nur durch eine Tür getrennt.
Es war ja nun nicht völlig einseitig. Er wusste, wann eine Frau interessiert war. Es war nicht alles nur körperlich. Er war in sie verliebt, verdammt noch mal. Und wenn sie zu dumm war, um das zu erkennen, musste er ihr eben seine Liebe an den Kopf knallen.
Er legte das Buch auf seinen Schoß, lauschte dem Blues von Billie Holiday und starrte in das Feuer. Die munteren Flammen hatten die Kälte in dem Schlafzimmer gebrochen. Das war der praktische Grund, weshalb er hier drinnen genauso ein Feuer gemacht hatte wie im Hauptraum. Aber es gab noch einen anderen, einen romantischen Grund. Er war verärgert, dass er von Cilla geträumt hatte, als er Scheite und Feuerholz aufgeschichtet hatte.
Sie war zu ihm gekommen, hatte etwas Dünnes, Fließendes, Verführerisches getragen. Sie hatte gelächelt, die Hände ausgestreckt. Hatte sich an ihn geschmiegt. Als er sie auf seine Arme hob, zum Bett trug, hatten sie …
Träum weiter, sagte er sich. Der Tag, an dem Cilla O’Roarke freiwillig zu ihm kam, mit einem Lächeln und einer offenen Hand, das würde der Tag sein, an dem sie in der Hölle Schneemänner bauten.
Dabei hatte sie Gefühle für ihn, verdammt noch mal. Eine ganze Menge. Und wäre sie nicht so dickköpfig, so entschlossen, all diese unglaubliche Leidenschaft wegzuschließen, würde sie nicht so viel Zeit damit verbringen, an ihren Nägeln zu kauen und sich Zigaretten anzustecken.
Zornig, zugeknöpft und zaudernd, das ist Priscilla Alice O’Roarke, dachte er grimmig. Er griff nach seinem Weinglas für einen spöttischen Toast. Es fiel ihm fast aus der Hand, als er sie in der Tür stehen sah.
»Ich möchte mit dir sprechen.« Sie hatte auf dem kurzen Weg über den Korridor das Meiste an Mut eingebüßt, aber sie schaffte es, den Raum zu betreten. Sie wollte sich nicht von der Tatsache einschüchtern lassen, dass er vor einem knisternden Feuer saß und nichts außer einem Jogginganzug trug.
Er musste etwas trinken. Nach einem Schluck Wein schaffte er ein Lächeln. Er war nahe daran zu glauben, dass er wieder träumte – aber sie lächelte nicht. »Ja?«
Sie wollte sprechen, ermahnte sie sich. Sagen, was ihr auf der Seele lag, und die Luft reinigen. Aber sie brauchte vorher einen Schluck von ihrem eigenen Wein. »Mir ist klar, dass deine Motive, mich heute Abend hierherzubringen, im Grunde wohlmeinender Natur sind … aber deine Methoden waren unglaublich arrogant.« Sie fragte sich, ob sie für ihn genauso albern klang wie für sich selbst. Sie wartete auf eine Antwort, aber er starrte sie nur unverwandt an. »Boyd?«
Er schüttelte den Kopf. »Was?«
»Hast du nichts zu sagen?«
»Wozu?«
Sie gab einen kleinen frustrierten Laut von sich, als sie näher kam. Sie knallte ihr Glas auf den Tisch, und der restliche Wein
Weitere Kostenlose Bücher