Nachtjäger
Handgelenk, ihren Puls. Endlich strichen seine Finger über ihre Augen und es wurde dunkel.
Das Licht war heller, als alles, was Caroline je gesehen hatte. Es war nicht nur hell, sondern weiß! Eine glitzernde Kälte fuhr durch ihren Körper. Wirbelnde Farben, das Gefühl von kristallinem Blau, eine schwebende Leichtigkeit. Sie öffnete die Augen und sah hinab.
Dort unten lag sie, mit gebrochenem Genick. Tot!
Und doch nicht tot, denn sie konnte sich schließlich sehen, konnte wahrnehmen, hören, ja, sogar riechen konnte sie. Ihre Sinne schwammen auf einem Ozean der Weitsicht, waren leicht wie Federn und das grelle Weiß war leicht überhöhten, dennoch normalen Farben gewichen.
Mit erstaunlicher Klarheit, ohne Furcht, vielmehr mit Heiterkeit, erkannte Caroline: Ich bin ein Geist!
Zwar hatte auch sie, wie jeder Mensch, sich irgendwann überlegt, wie es wohl sei, als körperlose Neugeburt durch den Äther zu schweben, so, wie es nun geschah, hatte sie es sich nicht vorstellen können. Es war viel weniger spektakulär als gedacht. Stattdessen hatte es eine schon fast selbstverständliche Komponente, so, als kehre sie nach Hause zurück. Zurück in einen Zustand, den sie nie wirklich vergessen hatte. In den Mutterleib und weiter. In ein erhebendes Davor!
Dort war Frederic.
Er rappelt sich auf, gestützt von Ludwig, und tastete an seinen Hals, die Augen grellweiß geöffnet und den Mundwinkel panisch verzogen. Ludwig nickte, strich Frederic über die Haare und sagte mit ruhiger Stimme: »Ein Vampir! Er hat Sie gebissen. Danach ist er verschwunden wie ein Blitz!«
»Caroline! Was ist mit Caro?«, fuhr Frederic hoch. Er taumelte, tastete um sich, hielt sich fest und sein Blick fiel auf die Tote. Er fiel auf die Knie, heulte auf, schlang seine Arme um sie, drückte sie an sich und weinte.
Ludwig stand hinter ihm, räusperte sich und verließ das Zimmer.
Caroline schwebte etwas tiefer, legte Frederic ihre Fingerspitzen auf die Schulter, wollte den Ärmsten trösten …
Hier bin ich! Es gibt mich noch! Ich bin noch bei dir!
… um zu merken, dass er sie nicht wahrnahm. Verzweifelt legte sie sich über seinen Rücken, schwerelos, filigran, durchsichtig, umschlang ihren Liebsten mit Armen aus Gaze, küsste ihn mit Lippen aus windigem Ozon und weinte gemeinsam mit ihm wasserlose Tränen.
Zwei Jahre später
Frederic zügelte das Pferd und sprang mit einer erstaunlich fließenden Bewegung ab. Der Stallbursche führte das bebende und schwitzende Tier weg.
Frederic stieß die Tür auf und stapfte in die Halle. Hinter ihm schloss sich donnerte die Tür. Ludwig hatte dafür gesorgt, dass ein Kaminfeuer knisterte. Mit einem einzigen Sprung war Frederic oben auf der Empore. Niemand würde sehen, wie groß seine Kräfte waren, denn das Hauspersonal war schon längst entlassen worden und der Stallbursche lebte neben dem Stall in einer kleinen Wohnung. Frederic kümmerte sich nicht um Spinnweben und Staub. In seiner Welt existierten diese Belanglosigkeiten nicht.
Ludwig kam aus dem Salon. Auch er war nicht mehr derjenige, den er einst dargestellt hatte. Der Butleranzug war verbraucht, die Gestalt knöcherig, die Wangen eingefallen und das Haar zu lang.
»Ich habe eine Lösung!«, sagte Ludwig.
Frederic verhielt. »Mal wieder?«
»Ja, Sir! Wir müssen Regus finden.«
»Das ist ja ganz was Neues, Ludwig …«, seufzte Frederic.
Erinnerungen schnellten vor seinen Augen hoch.
Regus!
Der Vampir!
Frederic erinnerte sich daran, dem Vampir noch einmal begegnet zu sein, Monate, nachdem er von ihm gebissen worden war. Wieder wurde er geweckt, erneut stand der Schwarze in seinem Zimmer. Eine glühende Aura umfunkelte den düsteren Körper. »Ich bin dein Herr. Nenne mich Regus und warte auf meine Anweisungen!«
Frederic war hochgeschreckt, hatte geschrien: »Warum hast du mir das angetan?«
»Weil es sein musste, Frederic!«
»Und Caroline?«
»Ein Unfall.«
»Warum sie, in Gottes Namen?«
Regus lachte hart. »Nenne nicht diesen Namen, es sei denn, du verfluchst ihn - mein Jünger. Er schaut weg, wenn ich richte. Er ist nur ein Mythos, ich jedoch – ich bin real! Ich bin der Herr der Dunkelheit. Ich richte und ich räche. Und manchmal geschehen Dinge, die das Schicksal verlangt. Dazu gehört auch das Ableben deiner geliebten Frau.«
»Gott ist der Herr des Lichtes!«
»Ja? Und in welchem Licht befindet sich deine Frau? Ist sie etwa bei dir? Sieht sie, wie sehr du leidest? Erlebt sie, wie sehr du
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