Nachtklinge: Roman (German Edition)
dem das Boot gehört.«
Der Besitzer stank wie sein Boot; der Mann stand sechs Tage pro Woche bis zum Bauch in Exkrementen. Venedig hatte streng geregelte Vorschriften, was Wasser und Unrat betraf. Trinkwasser wurde aus eigens dafür bestimmten Zisternen entnommen und Fäkalien in andere, ebenso genau festgelegte Zisternen geschüttet. War die Zisterne voll, transportierte man den Unrat aufs Festland, der dort als Dünger benutzt wurde.
Tycho zog das Schwert und bohrte es in die Erde.
Seine Klinge sank tief ein. Die Erdschicht war einen halben Meter tief, die Männer hatten mehr aufgeschüttet, als er verlangt hatte. Vielleicht würde er die Überfahrt diesmal besser überstehen als sonst. »Das reicht«, sagte er.
Zur Überraschung der Männer ließ er sich direkt auf der Erde nieder und verschmähte die bereitgestellte Kiste. »Sag’s ihm«, flüsterte Mario.
»Später«, gab der andere zurück.
»Jetzt ist es am besten.«
»Heraus damit«, befahl Tycho. »Ich habe ein scharfes Gehör«, fügte er hinzu, als er die erstaunten Blicke der Männer sah. »Ihr müsstet sehr weit weg gehen, damit ich euch nicht verstehe. Am besten rückt ihr einfach mit der Sprache heraus.«
Sie drucksten herum. Schließlich stellte sich heraus, dass sie den Toten alles raubten, was diejenigen, die sie gefunden hatten, übrig ließen.
»Ihr bringt die Leichen nackt auf die Insel?«
Giorgio wirkte erschrocken. »Aber nein, Herr, sie haben die Lumpen an, in denen man sie findet. Manche Leichen werden schnell entdeckt, andere sind schon halb verwest. Wir durchsuchen alle, bis auf die schlimmsten.«
»Ihr meint, ihr durchsucht die Lumpen?«
»Die Körper auch.«
Einer murmelte etwas vor sich hin.
Würde mich nicht überraschen, wo ihr versteckte Dinge findet, dachte Tycho, der in seinem Sklavendasein genug über Körperverstecke gelernt hatte.
»War es das, was ihr mir sagen wolltet?«
»Das ist noch nicht alles. Einige der Toten …«
Tycho wollte gar nicht hören, was als Nächstes kam. Aber wie sich herausstellte, ging es nicht um Leichenschändung.
Es dauerte eine Weile, bis er verstand.
Die Männer nahmen den Schmuck, wenn sie noch welchen fanden. Gelegentlich nahmen sie auch die Leichen selbst und verkauften sie. Mario wollte nicht sagen, an wen. Aber Tycho wusste es auch so. Dafür kam nur ein Mann in Venedig infrage. Hightown Crow.
26
O nkel Alonzo trieb sich mit Dirnen herum, saß beim Glücksspiel oder ging anderen Sonntagsvergnügen nach. Tycho war … Giulietta kümmerte es nicht, wo Tycho war. Tante Alexa goss Tee ein und lächelte zufrieden. Endlich hatte sie ihre Nichte für sich allein.
»Besuche mich am späten Nachmittag.« So hatte es in ihrer Nachricht gestanden.
Sie hatte sogar ihre rot lackierte Sänfte samt Trägern geschickt. Giulietta ließ sie warten und nahm sich viel Zeit zum Ankleiden. Auf dem Weg zum Palast zog sie die Vorhänge zu und musste zugeben, dass es eine ziemlich bequeme Art der Fortbewegung war.
Sie hatte sich betont erwachsen gekleidet.
Schließlich bin ich inzwischen erwachsen.
Ihr Haar war streng zurückgekämmt, und sie hatte sich für ein raffiniert gemustertes Kleid aus schwarzer chinesischer Rohseide entschieden. Ihr Gesicht war hinter einem Halbschleier verborgen, als Schmuck trug sie lediglich eine lange Silberkette. Es nutzte nichts. Sie war ihrer Tante geradewegs in die Falle gegangen. Es musste sich um ein wichtiges Treffen handeln.
Sonst würde Tante Alexa sie nicht so lange zappeln lassen, bis sie sagte, was los war.
Giulietta, die sich viel darauf zugutehielt, geschickt durch die Untiefen des höfischen Lebens zu manövrieren, war in letzter Zeit häufig auf Grund gelaufen. Es war nur der Anfang einer langen Reihe von Missgeschicken gewesen, dass Tycho just in dem Augenblick aufgetaucht war, als sie ihrem Leben ein Ende setzen wollte. Sie hatte damals die Muttergottes um Hilfe angefleht. War Tycho etwa von der Heiligen Jungfrau gesandt worden?
Dann war sie Leopold an der Riva degli Schiavoni begegnet, elegant und ein wenig spöttisch.
Was macht eine Gazelle unter Löwen?,
hatte er gefragt. Er hatte gewusst, wer sie war.
Ein Mitglied der vornehmen Welt erkenne ich überall.
Sie war seinem Charme und seinem Lächeln erlegen.
Dann hatte er sie verlassen, hatte die Welt verlassen, und ihr seinen gesamten Besitz vererbt: Länder, Zehnte und Titel.
»Hörst du mir überhaupt zu?«
»Nein«, gab Giulietta zurück. »Ich denke nach.«
Alexa schob ein Buch mit
Weitere Kostenlose Bücher