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Nachtleben

Nachtleben

Titel: Nachtleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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ausgeraubt.« Der Hund sah mit hängenden Lidern zu ihm auf und leckte sich die Lefzen. »Ich merk mir dein Gesicht, und heute Nachmittag komme ich im Heim vorbei. Dann bekommst du dein Fett weg. Euch Jungs muss man die Disziplin mit dem Rohrstock einprügeln.« Sein Gerede verlor sich in einem Hustenanfall. Während er sich auskeuchte, schielte ich zum Gebüsch und stellte mir vor, wie die anderen mich beobachteten, um anschließend herumzuerzählen, dass ich wegen eines Opas Schiss bekommen |35| hatte. Mit einem Mal hatte ich Baaders großkotziges Lachen im Ohr. Der Alte röchelte noch immer. Er war schwach. Ich dachte an Baader. Dann hörte ich mich reden.
    »Wenn Sie mich verraten, töte ich Ihren Hund.«
    Augenblicklich erstarrte der Alte, und nach einem Moment der Irritation fragte er: »Was hast du gesagt, Junge?«
    »Wenn Sie zum Heim kommen, töte ich Ihren Hund. Ich habe ein Messer, und ich habe schon viele Tiere getötet.«
    Er kniff seine Augen zusammen, griff die Leine ein wenig fester und musterte mich.
    »Verbrecher«, murmelte er.
    Als ich bemerkte, dass er mir tatsächlich zutraute, seine Töle abzustechen, konnte ich nicht aufhören. Außerdem wollte ich, dass die Jungs im Gebüsch mir die Geschichte abnahmen, und dafür musste der Alte sie schlucken.
    »Ich locke den Hund an, wenn Sie ihn irgendwann von der Leine lassen, streichle ihn ein bisschen und steche ihm dann die Klinge in den Hals.«
    Der Mann räusperte sich. Mit der Spitze seines Stocks deutete er auf mich wie mit einem Degen, bevor er sich abwandte und in die Richtung davonschlurfte, aus der er gekommen war.
    Einen Moment wartete ich ab, und als ich den anderen schließlich die Palette brachte, flüsterte Jens: »Gut, aber die Mutprobe ist noch nicht vorbei. Wenn der Chef vom Supermarkt kommt, musst du den Stern von seinem Benz klauen.«
    »Das war nicht abgemacht«, sagte ich.
    »Du holst den Stern, oder wir erzählen, dass du Joghurt geklaut hast«, drang es aus dem Gebüsch.
    »Los, da kommt er«, hörte ich Baader. Ein metallic-grüner Mercedes rollte auf den Parkplatz, und ich huschte wieder hinter die Container.
    Der Filialleiter mit Schmerbauch, Anzug und Krawatte stieg aus seinem Wagen, verriegelte ihn und überflog im Vorbeigehen die Waren, bemerkte aber das Fehlen des Joghurts |36| nicht, sondern verschwand durch den Seiteneingang im Laden. Ohne zu wissen, wie ich den Stern vom Auto bekommen sollte, sprintete ich los. Vor dem Kühlergrill blieb ich stehen. Mit einer Hand stützte ich mich auf der warmen Motorhaube ab und zerrte mit der anderen am Stern, drehte ihn in seinem Kugellager, doch es tat sich nichts. Ich stemmte einen Fuß auf die Stoßstange und ruckelte weiter am Stern herum. Die Innenbeleuchtung des Supermarktes ging flackernd an. Vor die Wahl gestellt, beim Klauen erwischt oder von den anderen fürs Weglaufen ausgelacht zu werden, entschied ich mich fürs Erwischtwerden. So sehr ich auch an dem Stern zergelte, er wollte sich nicht lösen. Einen Moment lang starrte ich ihn an und hörte den Motor beim Abkühlen knistern und knacken. Aus Ratlosigkeit schnipste ich schließlich mit dem Zeigefinger gegen den Stern, wie man Radiergummireste vom Tisch schnipst. Wahrscheinlich hatte ich den Stern vorher derart weichgekurbelt, dass er ausgerechnet dabei nach hinten wegknickte und klickernd zu Boden fiel. Mit einer Mischung aus Schreck und Freude gaffte ich ihn einige Sekunden an, hob ihn dann auf, lief zu den anderen und kroch zu ihnen zwischen die Hagebutten.
    Es waren vier oder fünf Sträucher, die so verwuchert waren, dass sie von außen wirkten wie ein einziger riesiger Busch, aber wenn man sich hineinzwängte, bildeten sie eine Höhle. Die anderen Jungs trafen sich regelmäßig dort. Kippenstummel und Streichhölzer, Flaschen und anderer Kram lagen herum. Baader nahm mir den Stern aus der Hand und betrachtete ihn. Jens und die anderen sahen mich wortlos an, wichen meinen Blicken aber aus.
    »Brauche ich doch nicht«, sagte Baader und warf den Stern weg. »Und das da«, er deutete auf eine der Paletten, »ist Erdbeerjoghurt und kein Himbeerjoghurt. Der kann nicht mal Himbeeren von Erdbeeren unterscheiden, der Versager.«
    Dann lachte er übertrieben laut, aber die anderen blieben stumm und reagierten nicht, nicht einmal Jens.
    |37| Wir hockten im Kreis, und ich roch den Erdboden, spürte die Kühle durch die Sohlen der Sandalen in meine Füße einziehen, hörte Möwen und entfernte Autos. Ohne dass ich wusste, was

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