Nachtleben
Baader an, »bei dir gibt’s die nächsten Monate nur halbes Taschengeld. Wenn wir in deinem Zimmer noch mehr Geldscheine oder so was finden, werden die sofort einkassiert, und es gibt richtig Ärger.«
Baader öffnete den Mund, aber Werner ließ ihn nicht zu |42| Wort kommen. »Mensch, du kannst froh sein, wenn der blöde Feuerbach nicht noch Strafanzeige erstattet und du eine Jugendstrafe bekommst.« Werner wandte sich an Merle. »Ich kümmere mich um die Sache.«
Sofort warf Merle mir einen erschrockenen Blick zu, fast ängstlich, und starrte dann auf den Boden. »Nee«, korrigierte sich Werner. »Das ist blöd. Mach du das mal, Merle. Du hast sowieso als Erste mit ihm gesprochen. Organisier du das mal. Ruf den gleich morgen an und sag, wir bezahlen natürlich die Reparaturkosten für seine Bonzenschleuder, wenn er darauf besteht. Dafür reicht unser Budget hoffentlich noch.«
Werner packte mich am Handgelenk und zog mich zu sich heran. »So gehen wir hier nicht miteinander um, Richard. Keine Prügeleien im Haus. Reden. Miteinander sprechen, Mensch! Das musst du lernen«, sagte er, aber ich reagierte nicht und wich seinem Blick aus. »Verstanden?«
»Ja.«
»Und ihr haltet die Klappe«, sagte er, an Baader und mich gerichtet. »Kein Wort zu den anderen Jungs hier im Haus, wie wir das genau mit dem Feuerbach regeln und wie eure Strafen aussehen. Wie immer, Christian. Das geht sonst niemanden was an. Niemanden. Verstanden?«
Stille.
»Ob ihr das verstanden habt?«
Wir nickten.
»Ich spreche gleich morgen mit Herrn Feuerbach und sehe zu, dass das nicht vor Gericht geht«, sagte Merle. »Der klang gar nicht so wütend. Passiert schon nichts.«
Von dem Tag an hatte ich meinen Ruf weg. Ich konnte es jedes Mal in den Augen neuer Jungs sehen, sobald ihnen jemand von der Schlägerei erzählt hatte. Waren sie mir erst noch unvoreingenommen begegnet, wirkte es anschließend, als würden sie die Köpfe einziehen, wenn ich in ihre Nähe kam. Baader hat wohl nie erfahren, wie der Stern und der Schein in |43| sein Kopfkissen gekommen sind, aber ich hatte ihn und die anderen damit offenbar derartig beeindruckt, dass sie mich in Ruhe ließen. Man ging mir aus dem Weg. Das war schon okay so.
|44| Januar 1996
»Unten im Boxkeller ist ein Neuer«, sagte der alte Schmidt, als ich die Kneipe betrat. »Gehört der zu dir und Flavio?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Ein Schwarzer. Pete. Spricht wohl kein Deutsch.«
»Keine Ahnung«, sagte ich und ließ die Tür hinter mir zufallen.
»Kommt Flavio noch? Bleibt ihr später noch auf ein Bier?«, fragte Schmidt, während er den Tresen abwischte.
»Ja. Ja, ich denke schon.«
Flavio und ich kamen mehrmals die Woche bei Schmidt vorbei, weil wir für den Türsteherjob aufgepumpt sein wollten und bei ihm umsonst trainieren konnten. Irgendwann in den Siebzigern hatte er den Boxkeller eingerichtet. Inzwischen hatten die Gewichte und Geräte Rost angesetzt, die Sandsäcke waren geflickt, und in der vertäfelten Decke hing der Schweiß von all den Verlierern, den sie im Laufe der Zeit in sich aufgesogen hatte. Im Ring schubsten sich gelegentlich Altluden herum, die sich gegenseitig die Gute Alte Zeit aus dem Leib prügelten; ernsthafte Sportler ließen sich nicht blicken. Flavio und ich stiegen so gut wie nie in den Ring. Meistens nur dann, wenn wir uns wegen irgendetwas auf die Nerven gingen und Reden zu anstrengend war.
Am frühen Nachmittag schloss Schmidt die Kneipe auf, und weil bis zum Abend für gewöhnlich nichts los war, sah er uns beim Gewichtedrücken zu und erzählte Geschichten von früher.
Zum Beispiel, dass er selbst nur mit dem Boxen angefangen hatte, um den großmäuligen Engländern ungestraft aufs Maul |45| hauen und ihnen im Rahmen kleinerer Preiskämpfe auch noch Kohle aus der Tasche ziehen zu können. Außerdem gab es die Geschichten von seiner Frau, die vor etlichen Jahren an Krebs gestorben war, und von seinem Sohn Michael, der zum Studieren fortgezogen und Rechtsanwalt geworden war und sich seit über zehn Jahren nicht gemeldet hatte.
Wir hörten ihm gerne zu, obwohl sich nach einer Weile alles wiederholte. Weil er keine Antworten erwartete, ließen wir ihn einfach reden, nickten gelegentlich und lachten an den richtigen Stellen.
Wenn Schmidt seinen Gästen abends nicht nur beim Trinken zuschauen konnte, sondern mitbecherte, wurde er manchmal melancholisch. Vor sich hinschnaufend, lehnte er dann am Rand der Theke und starrte ins Nichts. Aus dem
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