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Nachtpfade

Nachtpfade

Titel: Nachtpfade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Förg
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vorhin stand hinter ihr und starrte auf die junge Frau.
    »Haben Sie ein Handy?«, flüsterte sie.
    Der Mann sah so aus, als würde ihm übel. Dabei hatte
die Szene so gar nichts Bedrohliches. Mit zitternden Händen reichte er ihr das
Mobiltelefon. Es klingelte mehrmals, bis Gerhard dranging.
    »Gerhard, ich glaube, du solltest aufstehen und zur
Ostseite des Sees kommen, gleich bei der Holzbrücke. Da liegt Jeanny.«
    Gerhard war nach einer unruhigen Nacht gerade erst in
eine Tiefschlafphase geglitten und hatte einige Mühe, zu sich zu kommen. »Wer
liegt wo?«
    »Jeanny, ich glaube, ich habe sie schon mal irgendwo
gesehen, und sie sieht sehr schön aus«, flüsterte Kassandra.
    Gerhard rappelte sich hoch und schwang die Beine zur
Seite. »Red bitte lauter, ich versteh dich kaum. Wer bitte ist Jeanny?« Sein
Blick glitt zur Uhr: Es war kurz nach sechs. Himmel, war dieses Weib noch zu
retten? »Hallo, Kassandra, ist jemand zu Hause in deinem Hirn? Weißt du, wie
spät es ist?«
    »Nein, aber Jeanny ist tot, sie liegt halb im Wasser,
und ich glaube, du solltest kommen. Am Auslauf. Ich muss auflegen, der Mann,
der mir sein Handy geliehen hat, ist umgefallen. Ist ganz blass.«
    Gerhard hörte ein Klick. Kassandra! Ja, das war
Kassandra, wie sie nun eben war. Nicht aus der Ruhe zu bringen, mit einem
Blickwinkel auf die Dinge, der anderen verstellt blieb. Weil sie offen war –
und freundlich. Er zweifelte keine Sekunde, dass Kassandra eine Tote gefunden
hatte. Schließlich hatte sie mal Medizin studiert. Und er war sich auch sicher,
dass die bezaubernde Jeanny keiner Flasche entstiegen, sondern Realität war. Er
schlüpfte in seine Jeans, stieß sich zum zigsten Male den Kopf am Türrahmen zur
Tenne an, kletterte dann die steile Stiege hinab, wo es martialisch schnarchte.
Er hatte nicht gewusst, dass Pferde schnarchten, ja ganze Wälder
zusammensägten. Nein, das wusste er erst, seit er in der Pippi-Langstrumpf- WG von Jo und Kassandra aus und ein
ging. Vier Pferde, sieben Stammkatzen inklusive unzähliger wilder Kostgänger,
zwei Karnickel und ein flatulenter Rehpinscher. Zwei Frauen, eine davon war
eine Freundin aus Jugendtagen, zudem seine Ex – irgendwie zumindest, seine
beste und schlechteste Freundin zugleich. Die andere Frau war seine aktuelle
Gespielin – oder so. Wie konnte das Schicksal nur einen solch eigentümlichen
Humor haben und ausgerechnet diese beiden zusammenführen? Sie hatten sich
letztes Jahr bei den Ritterspielen in Kaltenberg kennengelernt, Kassandra, die
dort einen Verkaufsstand betreute, und Jo, die sich um die Pressearbeit
gekümmert hatte. Jo hatte ein bisschen in der Luft gehangen, als eine Stelle
beim Tourismusverband der Ammergauer Alpen vakant wurde. Sie hatte zugegriffen,
hatte gleich noch ein windschiefes Haus gefunden, das ihrem ehemaligen im
Allgäu sehr ähnelte. Sie hatte eine Mitbewohnerin gesucht und in Kassandra
gefunden, die sich mit allerlei esoterischem Brimborium, das sie selbst gar
nicht ernst nahm, über Wasser hielt. Eine tolle Kombination: Kassandra, die
stoische Pragmatikerin, und Jo, die emotionale Dramatikerin, und beide waren
mit diesem schrecklichen Tiersammler-Gen gesegnet!
    Und das Schlimmste war, dass er den zahlreichen Katzen
in Kassandras Bett dankbar für die Störung war, denn er konnte einfach nicht,
wenn er Jo im Nebenzimmer wusste. Aber das wiederum wollte er Kassandra nicht
sagen, denn dann hätte sie doch annehmen müssen, er würde noch etwas für Jo
empfinden. So viel, dass er eben nicht, na eben nicht konnte. Drum schlief er
auch seit Wochen schlecht und vermied es, soweit es ging, bei den beiden zu
übernachten. Es war der blanke Horror, und seine Kollegin Evi hatte ihn auch
noch herzhaft ausgelacht. Und Baier, sein ehemaliger Kollege, der alte Depp,
hatte was vom Traum eines jeden Polygamen gemurmelt. Gerhard versuchte, Jos
Mountainbike aus einigen müffelnden Pferdedecken zu extrahieren, schwang sich
drauf, und während des Radelns zog er sein Handy raus, um seine Kollegin Evi
Straßgütl auch aus dem Bett zu stauben.
    Evis Stimme klang überraschend frisch. Wahrscheinlich
war sie schon beim Joggen gewesen. »Gerhard, was willst du zu so früher Stunde?
Bist du aus dem Bett gefallen?«
    »Gefallen worden, sozusagen. Kassandra hat eine Tote
entdeckt am Bayersoiener See. Kannst du bitte kommen samt Notarzt, Spusi und
allem Erforderlichen?«
    »Ist das sicher, bevor ich alle in Gang setze?«
    »Evi, nicht irgendwer, Kassandra hat eine

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