Nachtruf (German Edition)
durchkommen.“ Sawyer lächelte leicht und startete den Motor. „Er ist viel zu eigensinnig, um es nicht zu tun.“
„Wie lange sehen Sie Annabelle schon?“, fragte Rain.
„Schon sehr lange.“ Sawyer wirkte nachdenklich, als er aus der Parklücke fuhr. „Die Sache ist nur, dass sie erst vor Kurzem angefangen hat, auch mich zu sehen.“
Nachdem Rain zu Hause eine trockene Scheibe Toast gegessen und eine Tasse Tee getrunken hatte, ging sie in ihr Arbeitszimmer. Dahlia rieb den Kopf an ihren Beinen, während sie am Fenster stand und auf den kleinen Garten hinausblickte. Celestes Teerosen waren aufgeblüht, und ein Paar Tauben hockte in der Vogeltränke am Rande der Terrasse. Blauregen hing von den Zweigen der Bäume. Was für eine friedvolle Szenerie – wären da nicht die Sorgen gewesen, die ihr das Herz schwer machten.Annabelle hatte recht damit gehabt, dass es für sie besser war, nach Hause zu gehen. Das musste Rain zugeben. Aber sie würde nur eine oder zwei Stunden schlafen und anschließend zurück ins Krankenhaus fahren.
Als sie sich umdrehte, bemerkte sie, dass ihr Computer eingeschaltet war. Auf dem Bildschirm flimmerten die Notizen von ihren Sitzungen mit Oliver Carteris. Trevor musste sie durchgelesen, musste nach irgendwelchen Anhaltspunkten gesucht haben, die ihn auf ihre Spur führen konnten. Sie dachte über die Gespräche mit Oliver nach. Hatte es jemals irgendein Anzeichen für sein grauenvolles Geheimnis gegeben, das ihr entgangen war? Es wollte ihr keines einfallen. Trotzdem hatte sie das Gefühl, in ihrem Beruf versagt zu haben.
Rain versuchte, ihre Sorgen mit aller Macht beiseitezuschieben. Sie hatte dem Arzt in der Notaufnahme erzählt, was Carteris ihr angetan hatte. Doch er hatte ihr versichert, dass das Risiko, sich über Speichel mit HIV anzustecken, sehr gering wäre. Glücklicherweise hatte sie sich gegen Hepatitis B impfen lassen – als sie während ihrer Promotionszeit in einer Einrichtung für gestörte Jugendliche gearbeitet hatte, war diese Impfung eine Vorsichtsmaßnahme gewesen. Dennoch hatte der Arzt ihr zur Beruhigung eine Auffrischungsimpfung verabreicht.
Sie nahm den Eisbeutel, den sie sich in der Küche zurechtgemacht hatte, und ging nach oben in ihr Schlafzimmer. Sonnenlicht fiel auf das ungemachte Bett, das noch genauso aussah, wie sie und Trevor es am vorherigen Morgen zurückgelassen hatten. Sachte glitt sie mit den Fingern über die zerknitterten Laken, und plötzlich wurden lebhafte Erinnerungen an ihr Liebesspiel wach. Daran musste sie sich halten und nicht an das Bild von Trevor, der blutend und bewusstlos auf dem Boden des Flugzeugs lag.
Inzwischen forderte der Schlafmangel seinen Tribut. Ihre Glieder schmerzten, ihre Augen brannten vor Müdigkeit. Zu erschöpft, um noch nach dem Nachthemd zu suchen, schälte sie sich aus der viel zu großen Krankenhauskleidung und schlüpftenackt unter die Decke. Sie schmiegte ihr Gesicht an das Kissen, auf dem Trevors Kopf gelegen hatte. Vielleicht war noch etwas von seinem Duft darin wahrzunehmen. Aber sie roch nur die leicht blumige Note des Waschmittels. Enttäuscht schloss sie die Augen.
Das Geräusch langsamer Schritte riss sie aus dem Halbschlaf …
Rain setzte sich auf und zog die Decke über ihre Brüste. Sie rief laut und fürchtete sich vor einer Antwort. Als sie nichts als die Stille vernahm, war sie erleichtert. Nach einer kurzen Weile strich sie sich das Haar aus dem Gesicht und legte sich wieder hin. Wahrscheinlich spielten ihre Nerven ihr einen Streich.
Rain wollte gerade wieder einschlafen, als sie Musik von unten herauftönen hörte. Begleitet von einer gewaltigen Melodie, schwebte Desirees rauchige Stimme auf sie zu. Angst kroch Rain über die Haut. Sie war nicht allein im Haus.
Sie sprang auf, rannte zur Tür und wollte sie zuschlagen und verriegeln, doch plötzlich stand eine riesige Gestalt auf der Schwelle. Carteris’ grüne Augen funkelten höhnisch hinter der Brille.
„Dachtest du, du könntest mich so einfach töten?“
In einer einzigen fließenden Bewegung hob er sie hoch, trug sie zurück und fiel mit ihr auf das Bett. Rain versuchte zu schreien, aber sein Gewicht presste die Luft aus ihrer Lunge.
„Wir haben noch etwas zu erledigen, Kleines.“ Er griff in ihr Haar, zog ihren Kopf mit Gewalt zurück und legte ihre Kehle frei. Rains Augen weiteten sich, als sich sein Mund öffnete und lange, spitze Eckzähne sichtbar wurden. Sein Kopf stieß nach unten, und seine Zähne versenkten
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